2009-01:Zufälliger Tod eines Anarchisten

Aus grünes blatt
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Zufälliger Tod eines Anarchisten

fb Eine Reihe terroristischer Anschläge in Italien wurde in den 60er/70er Jahren linksradikalen Gruppen zugerechnet und löste eine massive Repressionswelle aus. Unter anderem starb hierbei ein Anarchist, der beim Verhör aus dem Fenster einer Polizeistation stürzte. Zunächst wurde behauptet, er habe Selbstmord begangen, weil ihm seine Schuld bewiesen wurde. Später gab es einiges hin und her wegen widersprüchlicher Aussagen seitens der Polizei und weiterer ZeugInnen. Schließlich stellte sich heraus, dass die Anschläge von rechtsextremen Gruppierungen mit Unterstützung staatlicher Kräfte verübt wurden, um eine autoritätsorientierte Gesellschaft zu formen und linke Bewegungen zu diskreditieren.

In Dario Fos Bühnenstück wird dieser Vorfall aufgearbeitet und gleichzeitig eine Abrechnung mit Polizei und Justiz vorgenommen. Ein sogenannter "Verrückter" ist die Hauptfigur und gelangt zufällig an die Akten zum "zufälligen Tod eines Anarchisten". Gerade eben noch vernommen, weil er sich fälschlich als Psychiater ausgegeben hatte und angezeigt worden war, spielt er nun eine neue Rolle: als Ermittlungsrichter des obersten Gerichtshofs tritt er nun vor dem Polizeipräsidenten und weiteren beteiligten Beamten auf. Diese nehmen ihm seine Show ab und fürchten sich vor der Neuaufnahme der Ermittlungen im Todesfall des Anarchisten. Es entwickelt sich ein absurdes, aber auch an aktuelle Verfolgungswellen (z.B. der Justiz in Mittelhessen) erinnerndes, Komplott zwischen scheinbarem Richter und der Polizeiführung, um den Vorfall weiterhin zu vertuschen. Dass solche Vorgehensweise keine Ausnahme ist, sondern auf der Tagesordnung steht, kitzelt der "angebliche" Verrückte immer wieder heraus.

In seiner Rolle als autoritärer, aber der Polizei gut gewillter Richter teilt der "Verrückte" immer wieder Seitenhiebe aus und macht deutlich, dass das Spiel der Beamten durchschaut ist: "Darf ich um den Hut bitten? ... Oder möchten Sie ihn aufbehalten? - Aber nicht doch... er gehört mir gar nicht. Werfen Sie ihn einfach aus dem Fenster, wenn es Ihnen Spaß macht, einen Hut ohne den dazugehörigen Mann aus dem Fenster zu werfen." Nach dem Todesfall musste die Polizei ihre offiziellen Darstellungen mehrfach aktualisieren. Gab es erst keine Protokolle, weil angeblich keine Zeit dazu war, so tauchten plötzlich mehrere davon auf, die vom Opfer persönlich unterschrieben waren und machten neue Aussagen zum Vorgang. Ein Wachtmeister versuchte den Sturz des Anarchisten aus dem Fenster zu verhindern, bekam aber nur noch seinen Schuh zu fassen, den er der Presse präsentierte - komischerweise hatte der Tote direkt nach dem Sturz aber noch beide Schuhe an... Solche Feinheiten versucht der neugeborene Richter nun zusammen mit seinen Polizeifreunden jetzt glattzubügeln.

Nebenbei kriegen auch "die Anarchisten" ihr Fett ab: "Diese Anarchisten hängen an ihrem Arbeitsplatz... im Grunde genommen sind sie richtige Kleinbürger... total abhängig von diesen kleinen Vergünstigungen bei der Bahn: sicheres Einkommen jeden Monat, Weihnachtsgeld ... dreizehntes Monatsgehalt, Pension, Krankenkasse, ein geruhsames Alter... kaum jemand denkt so an seine Altersversorgung wie ein Anarchist, glauben Sie mir...". Während nun das eine oder andere Geständnis aus den Polizeioffizieren herausgekitzelt und wohlwollend eine glaubhafte Story über den unglücklichen Sturz des Anarchisten entsponnen wird, warten bereits einige Überraschungen auf die LeserIn. Das soll hier aber nicht vorweg genommen werden.

Mich erinnerten die Schilderungen doch sehr an die hiesige Polizei und einige sehr offensichtliche Vorgänge, bei denen Justiz und Polizei wohl Hand in Hand gearbeitet hatten, um ihre gemeinsamen Vorhaben gegenseitig zu decken. Wer jetzt keine Assoziationen hat, kann einfach ältere Texte im grünen blatt zur Repression im Raum Gießen lesen oder die Fallbeispiele im Buch "Tatort Gutfleischstraße. Die fiesen Tricks von Polizei und Justiz" lesen.


  • Dario Fo: Zufälliger Tod eines Anarchisten
  • Rotbuch Verlag, Hamburg 1997
  • Taschenbuch, 96 Seiten
  • ISBN 3-88022-906-6