2010-01:Kopenhagen - Ein Wintermärchen?

Aus grünes blatt
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jhc Viel wurde bisher gesagt und geschrieben über die Repression und Aktionen die beim Gipfel-Treffen in Kopenhagen stattgefunden haben. Über das scheinbare "Erstarken einer neuen radikalen Klimabewegung". Wenig Reflektionen gibt es bisher zum "Innenleben der Mobilisierung". Also zu den Strukturen und Prozessen vor Ort also. Welche haben zur Ermächtigung (Empowerment) der Einzelnen beigetragen? Welche haben dieser entgegen gewirkt?


Große Schafsherden - Wenig Selbstermächtigung, Direkte Aktionen, Alltagsalternativen und D.I.Y.

Ein immer wiederkehrendes Muster in der Protest-Choreographie vom 11. - 16. Dezember in Kopenhagen (siehe http://indymedia.dk/) war folgendes: Zu lang im Voraus angekündigten Zeitpunkten und Orten versammelten sich große Menschenmassen zu Protestmärschen. Die Polizei war entsprechend vor Ort und fuhr große Teile der Demonstration schon zu Beginn der Aktion in die Knäste ein. Die Reste der "Herde" blieben mehr oder weniger ohnmächtig zurück und verstreuten sich. Nun kann mensch sich über diese Repression aufregen. Und klar: Die Bilder erzählen eine gute Geschichte. Das Schweinesystem ist tatsächlich ein Schweinesystem. Aber zur Ermächtigung des Einzelnen trugen diese Aktionsformen wenig bei. Wohl eher zu einem Ohnmachtsgefühl. Scouts oder "Kundschafter" sollten die Massen "führen". Das dies schon vom Prinizip her problematisch ist und auch in der Praxis größtenteils fehlgeschlagen ist spricht Bäden über die Aktions-Praxis der "Bewegung".

Wo waren die autonomen Kleingruppen-Aktionen in der Innenstadt am 12. Dezember? Was wäre gewesen hätten sich massenhaft, vorbereitete Kleingruppen über die Stadt verteilt und bestimmte, inhaltlich wichtige Ziele angegriffen? Erklettert, verklebt, besetzt, verziert, bepflanzt, sabotiert, blockiert, gesmasht, bespielt. Immer mit viel Vermittlungsebene und eigener Öffentlichkeitsarbeit durch die Unterstützung einer Mediengruppe die den Aktivist*Innen dient und diese nicht zu führen, vereinnahmen und vetreten versucht (s.u.)? Und diese Aktionen gleichzeitig auf Utopien verwiesen hätten, die vor Ort direkt erfahrbar gewesen wären? Meine These: Die Bullen vollkommen überfordert, exzellente Vermittlung und ermächtigte Aktivist*Innen. Das Camp in Stirling beim G8 in Gleneagles und die Camps for Climate Action in UK können hier als Inspiration dienen.

Kleine Hoffnungsschimmer

Trotz diese doch sehr ernüchternden Bilanz sei auf einige kleine Hoffnungsschimmer auch in Kopenhagen verwiesen

Was die Organisation von Infrastruktur angeht, deren Würdigung auch immer viel zu kurz kommt haben die dänischen Aktivist*Innen vom ClimateCollective wohl ganze Arbeit geleistet. Auch was das Zusammentragen des inhaltlichen Stands der Dinge angeht (http://www.climatecollective.org/resources/). Trotz dem war von den dahinter stehenden radikal-ökologischen Utopien an den Convergence-Centern und Infopoints leider auch wenig zu spüren. Eigentlich gäbe es aber auch hier Alternativen: Wie eine radikal-ökologische Infrastruktur allen Aktivis*Innen gleichberechtigt zugänglich gemacht werden kann, zeigen wieder einmal die Engländer mit ihrer AT Coop (http://www.atcoop.org.uk/). Unter den vielen D.I.Y Bio-Vegan-Küchen aus ganz Europa stellte sei als tolle Ausnahme die frische, kleine aber feine Suppenküche aus Schweden genannt. Die Aktivist*Innen dort haben ein ganzes Jahr lang, mit Blick auf Kopenhagen, nicht-kommerziellen Gemüsebau betrieben um damit die vielen hungrigen Mäuler beim COP15 zu stopfen. Wer sich dich köstlichen, mit Holzfeuer gekochten Suppen auf den Zunge zergehen lassen hat, wusste: Ohne Mampf, kein Kampf. Inklusive der Vermittlung einer alternativen Nahrungsmittel-Produktions-Utopie (http://www.mykorrhiza.se/wiki/pmwiki.php/OmOss/AboutUs). Was sonst noch so an D.I.Y ging war wohl das Techie-Kollektiv "terminal.21" die sowohl als Kollektiv selbst als auch durch die zur Verfügung-Stellung von Infrastruktur für aktivistische Medienmacher_Innen zur Ermächtigung aller Beteiligten beigetragen haben (http://terminal21.de/).

An Aktionsformen gab es leider ebenfalls wenige Alternativen zu der oben beschrieben Tragödie. Die wenigen spannenden Dinge gingen wohl von Landwirtschafts-Aktivist*Innen oder Aktivist*Innen vom UK Climate Camp aus. Letztere hatten zu Ende des Gipfels keine Lust mehr auf die tatenlosen Parolen die dem Greenwash-Projekt par exellence "Hopenhagen", bei diversen Demos entgegen gebrüllt wurden und nahmen das Problem selbst in die Hand. In der Nacht zum 18. Dezember besezten sie kurzer Hand das Zentrum des Projekts und errichteten ein Mini-Camp um ein Zeichen gegen diesen grün-kapitalistischen Müll zu setzen (http://www.climatecamp.org.uk/actions/copenhagen-2009/hopenhagen). Aus dem ähnlichen Spektrum stammte auch die Idee des "BikeBlocs". Wenn auch eingebunden in die etwas müde Aktion von "Reclaim Power!" der dazu entsprechenden Bullen-Repression war die Idee: Kleingruppe auf bunten D.I.Y-Fahrrädern die Chaos verbreiten und gleichzeitig radikale, kapitalismuskritische Akzente in Sache Fortbewegung und Mobilität setzen. Eine geniale Weiterentwicklung des etwas unflexiblen CriticalMass-Konzepts (http://www.climatecamp.org.uk/actions/copenhagen-2009/bike-bloc). Überhaupt war die "Bolsjefabrikken" also zu doitsch die "Bonbon-Fabrik" ein Ort für Fahrrad-Reparatur-D.I.Y, mit entsprechenden Workshops und informellem Skill-Sharing (Fähigkeiten-Teilen) zu verschiedenen Reparaturarbeiten und sonstigen kreativen Aktionsformen (z.B. Eco-Street-Art).

Und was die Landwirtschafts-Aktionen anging, so waren dies zwar als Format auch erstmal normale Latsch-Demos aber zum einen waren es Aktionen mit konkreter Kritik, konkreter Formulierung von anti-kapitalistischen Alternativen, Vermittlung der selbigen durch ausdauernde Flyer-Ausgabe und was auch sonst fast überhaupt nicht der Fall war: Der Anwesenheit von Betroffenen aus dem globalen Süden. Abgesehen davon, gab es am Rande der Demo des Landwirtschafts-Aktionstages viele Kleingruppen-Aktionen: 1. Aktionstheater zum Greenwashing eines Bio-Plastik und -Sprit-Produzenten. 2. Banner-Drop und Blockade vorm Supermarkt-Multi "Netto" bei gleichzeitiger Ausgabe von bio-veganen Burgern und Suppe an Passanten. 3. Leider fehlgeschlagenes Lahm-Legen einer Shell-Tankstelle an der Route. 4. Tierrechtlicher Banner-Drop am Gebäude der Lobbyisten der Agrar-Industrie und Tierfabriken in Dänemark (http://linksunten.indymedia.org/de/node/14617 + http://linksunten.indymedia.org/en/node/14493 + http://www.reclaimthefields.org/).

Bei all diesen Aktionen haben natürlich nie die sonst schon gängigen und doch sehr viel selbstbestimmteren Aktionsformen wie Rythms of Resistance (Samba-Band -> http://www.rhythms-of-resistance.org/) oder Clown-Army (Clowns-Armee -> http://en.wikipedia.org/wiki/Clandestine_Insurgent_Rebel_Clown_Army) gefehlt. Spontan organisiert scheinten sich auch die unzähligen Gefangenen zu haben. Von Zerlegung der Knäste, bis Ausbruchsversuchen, Gesängen und Parolen war wohl alles dabei. t

Bewegungs-Führer - Skandalöse Anti-Rep-Arbeit und Medien-Politik

Ähnlich ernüchternd wie die Aktionspolitik, war die Medienpolitik von CJA (http://www.climate-justice-action.org/). Diejenigen die schon letztes Jahr während des Klimacamps in der Kritik wegen Vereinnahmung und einseitige Steuerung des Prozess standen fanden sich, wo auch sonst, im Medienteam von CJA wieder. Das diese Menschen "Bewegungsführer" sind ist jetzt auch von ihnen selbst bestätigt worden. In offiziellen taz-Interviews wird nun unverblümt von "führenden Köpfen der sozialen Bewegung" gesprochen. Damit dürfte dem Banner-Slogan von Greenpeace "Politiker reden, Führer handeln", auch von Seiten der "radikalen Klima-Bewegung" genüge getan worden sein. Personalisierte Kritik bringt hier wohl wenig weiter. Die entsprechenden Menschen drängen sich ja so penetrant in den Vordergrund, dass sie kaum zu übersehen sein dürften. Das System nach dem gearbeitet wird ist aber dennoch erwähnenswert: Es werde Kollektiv-Identitäten geschaffen (z.B. "Climate Justice Movement" - "Die Bewegung") und Institutionen die für jene Sprechen ("Climate Justice Action"). Und statt das wie bei NGOs deren Logos gepuscht werden müssen, geht es hier um Einzelpersonen, die sich aus welchen gründen auch immer, persönlich profilieren müssen. Entsprechende Personenkreis formen dann informelle Cliquen und Parlellstrukturen in denen sie sich gegenseitig der Ball zugespielt wird. Andere Menschen werden von (Medien-)Ressourcen ausgegrenzt und auf Grund mangelnder "Professionalität" zurück gedrängt und damit "Macht" angehäuft. Und all dies darf dann nicht in der Öffentlichkeit debattiert werden, weil es die "Einheit der Bewegung" gefährden würde: Klar, eine offene Streitkultur wäre desaströs für diese Strukturen. Ein Schauspiel, das Einblick in entsprechende Logiken gab, war das Presse-Training, dass von CJA vor Beginn der Proteste durchgeführt wurde. Ähnliche Kritik wurde aber auch von Menschen geäußert, die das Medienteam während der 2 Wochen in Kopenhagen frustriert verlassen haben.

Beim erwähnten Presse-Training wurden aber auch einige inhatliche Mankos deutlich: Positive Bezug auf "Demokratie", blinde Solidarität mit Delegationen aus dem globalen Süden (z.T. also auch mit korrupten Despoten) statt mit den dort kämpfenden sozialen Bewegungen, Aussagen die beinahe Appelle an die Herrschenden waren, Reparationen und "Klima-Schulden" als Lösungs-Konzept (Wer bemisst den Schaden? Wer zahlt? Wie wird das erreicht? Lobbying?). Aussagen wie "Wir sind keine UNO Gegner, wir wollen hier gar nicht die Legitimationsfrage stellen" sprechen wohl Bände. Zum Klima-Camp letztes Jahr wurden ja bereits alternative Positionen formuliert (http://de.indymedia.org/2008/08/224669.shtml).

Und das Fatale zum Schluss: Zwar wehrt sich niemand gegen diese Zustände. Allerdings ist es auf Grund der diskursiven Dominanz in den Medien dieser Strukturen bei Gipfelprotesten auch schwierig eigene Pressearbeit zu leisten. Umso besser, dass es doch einige unabhängige Medienmacher*innen nach Kopenhagen geschafft haben und Menschen für sich selbst haben sprechen lassen (http://linksunten.indymedia.org/de/filtersearch/results/taxonomy%253A125).

Skandalös auch, wie sich entsprechende Führungsstrukturen in der Antirepressions-Arbeit auswirken. Über ein dutzend Menschen stecken im Knast und müssen dort auch bis Mitte Januar sitzen, teils mit schweren Vorwürfen (Waffenbesitz, Widerstand etc.) und was passiert? Individualisierte Soli-Arbeit mit Petitionen für einzelne "Bewegungs-Führer*Innen", die nach einigen Tagen sowieso wieder auf freien Fuß kommen (http://www.petitiononline.com/Tadzio/petition.html). Nun kommt es also auch schon auf die Kontakte zu entsprechenden Cliquen an, in wie weit sich mit Menschen im Knast Solidarität wird. Und statt einen Generalkritik an Knästen und Strafe zu integrieren geht es nur noch um die Stars und Sternchen der neuen "Klima-Bewegung" (http://noprisonnostate.blogsport.de/ + http://www.projektwerkstatt.de/strafe/)

Wie Weiter?

Naja, die Alternativen in Sache Medienarbeit sind ja bekannt und werden auch schon lange von unabhängigen Aktivist*Innen bei ihren Aktionen praktiziert. Wie schon erwähnt sollten Medienteams, wenn überhaupt von den Aktivist_Innen gewünscht, zuarbeiten und vermitteln. Das heißt also, Pressemitteilungen werden in einem gleichberechtigten Prozess von allen erarbeitet und auf Bitte von der Straße von den Medienmenschen verschickt. Sprechen kann und soll jeder der will. Möglichst für sich und nicht für andere. Aber immer die Menschen vor Ort. Ein Pseudonym für alle mit der Presse sprechenden (siehe AntiRa-Camp in Hamburg letztes Jahr), oder einzelne Aktivist*Innen ist eine weitere Option um Vereinnahmung vorzubeugen.

Was die Aktionskonzepte angeht gibt es hier auch zahllose Alternativen. Autonome Zeitschrifen eures Vertrauens vermitteln Praxiswissen (http://directactionde.blogspot.com/2009/12/farbe-auf-12-gebaude.html). Kreative Aktionstrainings, Bücher und Reader sind keine Mangelware (http://kreativerstrassenprotest.twoday.net/ + http://kommunikationsguerilla.twoday.net/ + http://www.projektwerkstatt.de/hoppetosse/dan/haupt.html + http://klimaschutzvonunten.blogsport.de/). Und ein Blick über den deutschen Tellerrand, zum Beispiel in das UK würde auch niemenschem Schaden.

Das Wintermärchen aus Kopenhagen erzählt aber auch eine Geschichte über politische Kulturen. Viele der Menschen die in die diesem unschönen Zusammenhängen zu erwähnen wären stammen auch doitschen Bewegungszusammenhängen. Viel Kritik daran wurde in informellen Gesprächen auch von Aktivist*Innen aus anderen Ländern geäußert (NL, UK). Doitsche Zustände also? Wahrscheinlich nicht nur. Entsprechende Egos gibt es wohl auch in anderen Ländern. Aber die lahme politische Kultur in Germoney, bietet doch einen wunderbaren Nährboden für solche Strukturen. Was wir brauchen ist frischer Wind: Wissen teilen statt monopolisieren, Selbstorganisation statt Dienstleistung, menschennahe Vermittlung statt akademische Eliten, kreative, dezentrale Aktionen statt Massenevents, reflektive, kreative aber strukturierte Entscheidungsfindung statt hierarchischen Plena, Offenheit, Ermächtigung und Transparenz statt Cliquen, Alltagsalternativen und D.I.Y statt "nichts Richtiges im Falschen", um die Sache kämpfen statt Egos und Karrieren zu bedienen, offene Streitkultur statt Klüngelleien, herzliche und einladende Räume schaffen statt abschreckende Subkulturen... Und das sind nur einige Anregungen die aber in anderen Ländern (z.B. UK) schon sehr viel mehr der politische Praxis entsprechen. Ein englisch-sprachiger Artikel zum Thema "politische Kulturen" sollte bald im Shift-Magazine (http://shiftmag.co.uk/) erscheinen.

In einer Reflektion heißt es sinngemäß übersetzt: "Wenn wir all unser Wissen und unsere Erfahrung zusammenbringen, dann sollte wir vielleicht überall hingehen. Aber nicht nach Mexiko (d.A: dort finde der nächste Klimagipfel statt). Wir sollte viel mehr 100.000 Menschen mobilisieren um lokal zu handeln in trans-lokaler Solidarität um alternative Strukturen zu schaffen und zu unterstützen wie radikal-ökologische, nicht-kommerzielle Landprojekte, urbane Freiräume und Aktionsplattformen, lokale Flüchtlingshilfen und andere Projekte die als Inspiration dienen könnten für eine radikal-ökologische und sozial gerechte Alltags-Praxis." Ich denke darüber sollten wir nachdenken. Und auch darüber ob wir die ursprüngliche Idee der Climate Camps aus England nicht nun endlich in der BRD durchsetzen wollen.

! D.I.Y - Do it yourself - D.I.T - Do it together !