2011-02:Über gewürfelten Weißkohl und Gender

Aus grünes blatt
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Über gewürfelten Weißkohl und Gender

Ankündigung: Auf was wir diesen Sommer keinen Bock haben!

Volxküche Maulwurf In Erinnerung an das letzte Jahr und die ein oder anderen Erlebnisse bei Kochprojekten in und um Freiburg setzten sich zwei Volxküchenaktive[1] zusammen um sich mal gehörig auszukotzen:

Uns kotzt es an

Uns kotzt es an, wenn wir Personen dreimal erklärt haben, wie wir gerne den Weißkohl geschnitten hätten und am Ende trotzdem dicke Würfel statt feines Kraut in den Yufka quetschen müssen. Uns kotzt es an, wenn uns eine gestresste Person, die das Essen transportiert und sonst gar nichts mit der Küche zu tun hat, den Kochlöffel aus der Hand und den Topf von der Flamme reißt, weil sie beschließt, dass die Soße auch ungewürzt ausgeteilt werden kann. Uns kotzt es an, wenn wir unsere strukturierte Essensausgabe rechtfertigen müssen und andere uns vorschreiben wollen, wie es angeblich schneller geht. Uns kotzt es an, wenn uns beim Installieren einer Lampe in der Küche das Werkzeug aus der Hand genommen und uns erklärt wird, wie das richtig geht. Uns kotzt es an, wenn Personen bei der Frage: „Brauchst du Hilfe?“ unsere Antwort nicht abwarten. Uns kotzt es an, wenn die Person in der Küche, die gerade beim Schnippeln hilft, von Außenstehenden als Küchenverantwortlicher angesprochen wird.

Uns kotzt es vor allem an, dass dabei jedes mal die „Person“ männlich und das „uns“ und „wir“ weiblich definiert ist. Uns kotzt es jedoch am allermeisten an, dass wir als weiblich definierte Menschen solches Verhalten gewohnt sind. Und am allerallermeisten kotzt es uns an, dass dieses Mackergehabe – meist unterschwellig in kleinen banalen Alltagssituationen – auch in linken Szenen immer wieder auftaucht und viel zu selten reflektiert wird.

Und außerdem kotzt es uns an, dass uns nur dann keine Leute ins Zelt latschen und das Weißkraut nur dann so geschnitten wird, wie wir es haben wollen, wenn wir selbst mackrig genug auftreten.

Beispiel: Sprache

In der Küche spielt dieses „männlich definiert“ oder „weiblich definiert“, „mackrig“ oder „nicht mackrig“ unserer Erfahrung nach eine große Rolle.

Es macht beispielsweise einen Unterschied, ob wir sagen: „Kannst du den Weißkohl bitte so und so schneiden“ oder: „Ich brauche den Weißkohl so und so geschnitten“. In einigen Gendertheorien wird im Kommunikationsverhalten zwischen female und male register unterschieden. Das female register ist geprägt durch Ich-Botschaften, Relativierungen, Bitten und ist indirekt und zuvorkommend. Das male register ist dominant, direkt, klar und deutlich.

Wir jedenfalls haben unabhängig von unserem sex[2] und gender[3] keine Lust, nur durch dominantes Redeverhalten das zu bekommen, was wir brauchen, sondern wollen mit unseren Überlegungen und Erfahrungen auch so ernst genommen werden – unabhängig von unserem sex und gender!

Wir wollen das bekommen, was wir brauchen, weil die Leute es nachvollziehen können. Und sei es auch nur der fein geschnittene Weißkohl.

KochtopfExkurs: Küche als Arbeitsplatz

Wenn ein weiblich definierter Mensch das Abendessen für Ehemann und 1,28 Kinder zubereitet, das Gemüse schnippelt, kocht und den Tisch deckt, würde kaum wer an den Kompetenzen dieser Person zweifeln.

Wenn ein weiblich definierter Mensch (mit anderen) das Abendessen für 500 Menschen kocht, das Gemüseschnippeln koordiniert und in großen Töpfen rührt, kommen Zweifel auf!? Wenn Kochen im Privatraum unentlohnt stattfindet und die Töpfe max. 10 Liter fassen, ist es Frauensache? Wenn Kochen im öffentlichen Raum (Gastronomie) gegen Bezahlung stattfindet und Töpfe gerne mal 200 Liter fassen, ist es Männersache? (Warum gibt es denn so viele männliche Spitzenköche, warum ist der Beruf Koch bei männlichen Jugendlichen denn unter den TopTen?) Welches Kochen gilt als Produktion, welches als Reproduktion?

Volxküche als Spielplatz?

Jenseits von Arbeitslogik und Bezahlung: Betrachtet mensch Volxküchen, fällt es sicher nicht so leicht in Reproduktion und Produktion zu unterscheiden, als männlich oder weiblich zu assoziieren. Das Kochen (=weiblich assoziiert) hat ab einer bestimmten Anzahl von Mitesser_innen weniger mit „Kochen“ zu tun, sondern mehr mit Organisieren, Delegieren, Koordinieren, Leiten und Technik zu tun (=männlich assoziiert).

Mal werden wir als die Checker_innen angesehen, weil wir ach so lässig am Bräter stehen, mal werden die anderen als die Checker_innen angesehen, die bei der Aktion den Nazis ach so lässig aufs Maul hauen. Beides Blödsinn!
Mal ist die Küche im Camp öffentlich einsehbar und wir sind die Checker_innen beim Werkeln. Mal findet das Nazi-aufs-Maul-hauen „draußen“ im öffentlichen Raum statt und wir bleiben zurück im „Privatraum“ Camp, dann sind die anderen die Checker_innen. Genauso blöder Blödsinn!

Auf was wir diesen Sommer Bock haben

Wir wollen mit dem Kochen zum einen tolle Aktionen, Projekte und Gruppen unterstützen. Wir wollen beim Kochen aber auch Spaß haben, voneinander und miteinander lernen und einen Raum zum Experimentieren und Ausprobieren haben. Dabei wollen wir uns sicher sein können, dass wir nicht aufgrund von sex, gender, Alter, Kocherfahrung etc. übergangen und bevormundet werden. Wir wünschen uns, dass (auch eigene) Wissenshierarchien reflektiert werden und in der Gruppe und nach außen unter anderem durch Transparenz abgebaut werden. Wir wollen von anderen angesprochen werden, wenn wir uns selbst mackrig und checker_innenmäßig verhalten und sich damit andere unwohl fühlen.

Für uns ist die Küche ein Bezugsrahmen und eine Bezugsgruppe und nicht nur eine Ansammlung von mehr oder weniger großen Checker_innen! Wenn das nicht klappt, werden wir alle Holzfäller_innen und nix is(s)t mehr mit Maulwurf!

Gender- und Checker_innen„analyse“ für Mithelfer_innen und Esser_innen

  • Wen flirte ich wie an, um als erste_r Nachschlag zu bekommen?
  • Wen frage ich, ob ich noch helfen kann?
  • Wer läuft im Sommer „oben ohne“ im Camp rum?
  • Spreche ich weiblich definierte Personen mit „Mädels“ an?
  • Spreche ich männlich definierte Personen als „Jungs“ an?

Gender- und Checker_innen„analyse“ für die Küche

  • Wer schließt die Gasanlage an?
  • Wer schweißt die Töpfe?
  • Wer soll mit einem Lächeln die Spendenbox hinhalten?
  • Wer hat Zugang zum E-Mail-Account und zur Homepage?
  • Wer säuft wie viel um als tough zu gelten?
  • Wer vertritt die Küche im Camp-Plenum?
  • Wer kommuniziert mit der Camp-Orga?
  • Wer von der Küche wird als vermeintlich kompetente Person angesprochen?
  • Wurden in Ihrer Einrichtung bereits Ziele zur Realisierung von Geschlechtergerechtigkeit formuliert?
  • Wer fordert beim kitchen meeting eine Befindlichkeitsrunde ein?
  • Wer wertet für einzelne wichtige Bezugsgruppenmethoden als bescheuerte Waldorfpädagogikkacke ab?
  • Wer will den Überblick behalten und tendiert dabei dazu zum Kontroll-Freak zu werden?


Anmerkungen:

  1. Volxküche (VoKü): selbstorganisierte Mitmachküche
  2. sex: biologisches Geschlecht
  3. gender: soziale und psychologische Geschlechtszugehörigkeit