2011-02:Kohle im Auto?

Aus grünes blatt
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Peak Oil – was passt alles in den Tank?

Der motorisierten Individualverkehrsgesellschaft geht das Öl alle. Das ist keine neue Nachricht und im Prinzip auch kein Grund zum Trauern. Ich jedenfalls werde stinkende Blechkisten in den Städten und auf sonstigen Straßen nicht vermissen. Im Gegenteil kann ich einige Kreativität bei Überlegungen entfalten, was an den heute von Automobilen dominierten Orten stattdessen entstehen könnte.

Leider gibt es dabei einige Probleme und die Rechnung kein Öl = kein motorisierter Individualverkehr mehr geht nicht auf. Obwohl es im Kontext des bevorstehenden Klimachaos notwendig wäre, schon vor dem Ende des Öls auf dessen Verbrennung zu verzichten, sind gegenteilige Anzeichen zu beobachten: Der globalisierte, industrielle Kapitalismus, dessen Akkumulation stark auf den motorisierten Verkehr angewisen ist, sei es über den Absatz von Automobilen, oder über den Straßentransport von Waren, handelt wie ein Suchtabhängiger der befürchtet, dass die Droge ausbleiben könnte. Alles Vorfindbare wird zur Droge verflüssigt. Ohne Rücksicht auf Verluste und Zerstörungen. Der aktuell vielen bekannte Versuch ist Bioethanol. Lebensmittel (oder mit solchen konkurrierenden Pflanzen) werden als Benzinersatz zu Ethanol verflüssigt. Die Auswirkungen sind bekannt: Anstieg der Lebensmittelpreise, Verschärfung der Hungerkrisen im globalen Süden und neuerdings auch in geringeren Umkreisen(was heißt das?) der Industriezentren, rasante Beschleunigung der Zerstörung der letzten Regenwälder und Vertreibung der dort lebenden Menschen.

Im Mainstream-Diskurs weniger bekannt ist der Abbau von Tar Sands in Kanada (vieleicht weil das daraus gewonnene Öl nicht gefährlich für die Innereien des eigenen Autos ist?). Dort sind mehr Barrel Öl als die Menge der noch verhandenen (bekannten) konventionellen (flüssigen) Ölreservenin teerhaltigen Sanden gebunden. Die Extraktion lohnt sich erst jetzt: Wegen der steigenden Ölpreise und Peak Oil (der Punkt an dem global die höchste Fördermenge erreicht ist, anschließend also rückläufig ist, bei derzeit ansteigendem Ölverbrauch). Da sich die Teersande allerdings unter borealem Nadelwald befinden, ist die Bedingung für das schwarze Gold also diese zuerst zu roden, was derzeit in einer Größenordnung der Fläche Großbritanniens geschieht. Als erster Testlauf sozusagen. Die Tendenz ist also klar: Der Drogenabhängige erhöht seinen Zerstörungswillen angesichts der Angst vor dem Entzug. Dabei gibt es zwei Dinge, die beim Kampf gegen das Klimachaos unerlässlich sind: Die Verbrennungsenergieträger aufzugeben und den Trend der abnehmenden globalen Waldflächen in einen ansteigenden umzuwandeln. Bei beiden oben geschilderten Technologien geschieht in beiden Punkten das Gegenteil.


Deutsches Benzin

Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit mit der sich der Kapitalismus dem Ausgehen der flüssigen Antriebsenergieträger erwehren mag: Die Kohleverflüssigung. Derzeit noch im Teststadium ist diese Technologie eigentlich eine altbekannte. Die Kohleverflüssigung besitzt eine sehr deutsche Geschichte: Anfang der 20er Jahre wurde das Herstellungsverfahren in Deutschland erfunden und ab Ende der 20er Jahre in den Leunawerken der I.G. Farben, dem Nachfolgeunternehmen der BASF, kommerziell eingesetzt. 1932 gab es eine Besprechung zwischen I.G. Farben-Bossen und Hitler, in der dieser über den strategischen Nutzen der Kohleverflüssigung aufgeklärt wurde. Daraufhin gab es einen Deal, der die I.G. Farben nach 1933 zum Treibstoffunternehmen der Wehrmacht machte und die Unterstützung der Kohleverflüssigung zusagte. Denn die Notwendigkeit der Kohleverflüssigung für die Wehrmacht war klar: Das heimische Öl reichte nur für 30 % der benötigten Antriebskraftstoffe, zudem war es durch seinen hohen Gehalt an Schwer- und Schmierölen für die Entwicklung von Flugzeugkraftstoffen kaum brauchbar. Aus Kohle hergestelltes Benzin, auch „deutsches Benzin“ genannt, bot also die technische Möglichkeit für den Zweiten Weltkrieg durch(?) die Wehrmacht. Als viele der Raffinerien 1945 zerbombt wurden, war das ein maßgeblicher Grund für die Niederlage des Faschismus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Entwicklung der Kohleverflüssigung in Westdeutschland nicht weitergeführt. Gegen das billige Öl war sie nicht konkurenzfähig. In der DDR wurde sie erst Anfang der 70er eingestellt. Aktuell naht die Grenze der Rentabilität für die Kohleverflüssigung, im Zusammenhang mit Peak Oil. In anderen Ländern wird bereits daran geforscht, in Deutschland noch nicht. Das bringt zum Beispiel den Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus (GVSt) zum Jammern:

„Eine bestehende kleine Versuchsanlage der Deutschen Montan-Technologie (DMT) wurde vor nicht allzu langer Zeit nach China (!) verkauft. In anderen Ländern sieht dies anders aus: In Südafrika arbeitet eine entsprechende Anlage mit einer Leistung von 175.000 Barrel pro Tag und auch China ist an entsprechenden Einrichtungen interessiert. Wie ersichtlich wird, ist die Kohleverflüssigung ein immer weiter um sich greifendes Thema. Gerade das Interesse von Ländern wie beispielsweise China sollte uns hellhörig machen. Nur bei Vorliegen des entsprechenden Know-hows wird es Deutschland möglich sein, von diesem Bereich zu profitieren – und das gleich in zweifacher Hinsicht: Zunächst durch die Exportmöglichkeiten. Wird das seit damals ruhende Wissen reaktiviert und fortentwickelt, so kann die deutsche Wirtschaft diesen Wettbewerbsvorsprung auf den internationalen Märkten ausnutzen. Eine Vorreiterrolle in Bezug auf spezielle Technologien bringt immer die Möglichkeit größerer Gewinnmargen mit sich, die wiederum Arbeitsplätze in Deutschland schaffen bzw. erhalten. Dies betrifft sowohl den Steinkohlenbergbau wie auch seine Zulieferindustrien. Als zweiter positiver Punkt ist die Versorgungssicherheit hervorzuheben. Nicht nur, dass durch den dann ausgeweiteten Bergbau ein verbesserter und damit schnellerer Zugriff auf die deutschen Steinkohlelagerstätten ermöglicht wird. Zusätzlich wird auch die Versorgung mit Erdöl stabilisiert und von den arabischen Ländern bzw. der OPEC abgekoppelt. Dies löst Deutschland in gewissem Maße vom internationalen Markt für Rohöl los und stärkt zudem die grundsätzliche Verhandlungsposition.“ Ganz ohne deutsche Technik geht das aber natürlich doch nicht: „ Als Anlagenausrüster ist Deutschland schon dabei. Monteure des Hochdruckpumpenherstellers Uraca, Bad Urach, bauen gerade wesentliche Komponenten für die weltweit erste Industrieanlage zur Kohleverflüssigung in China auf.¹“ Die Frage ob die Kohleverflüssigung in der aktuellen klimapolitischen Lage sinnvoll ist wird durchgehend ignoriert. Das alleinige Interesse gilt der deutschen Wirtschaft, die diese Chance des Wissensvorsprungs nicht verpassen darf. Während bei den erneuerbaren Technologien, wo Deutschland ebenfalls marktführend ist, die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie gepredigt wird (in Wirklichkeit die Vereinbarkeit deutscher Wirtschafsinteressen mit einem grünen Deckmäntelchen) ist in diesem Falle die Ökologie nicht der Rede wert. Unter dem Konkurrenzdruck der Standortpolitik muss den nationalökonomischen Interessen eben alles andere untergeordnet werden.


Die Klimafolgen der Kohleverflüssigung

Wie anfangs bereits erwähnt kann die entscheidende Frage aus einer klimapolitischen Sicht nicht lauten: „Wie ersetzen wir das ausgehende Öl mit möglichst wenig Mehrverschmutzung als durch das Erdöl ohnehin anfällt?“ sondern: „Wie schaffen wir es so schnell wie möglich auf die Verbrennung aller fossilen Ressourcen zu verzichten und welche gesellschaftlichen Strukturen sind dafür nötig?“ Denn es ist nicht gewiss ob bei dem derzeitigen CO2-Anteil in der Atmosphäre positive Rückkopplungseffekte, die den Klimawandel verselbstständigen würden noch aufzuhalten sind oder nicht. Jeder Tag, den es länger dauert die fossilen Energieträger nicht mehr zu verbrennen, verschlechtert die Chancen. Vor diesem Hintergrund muss mensch also die skrupellose Einforderung von Technologien sehen, die eine mehr als doppelt so schlechte Klimabilanz haben als die des Status Quos. Bei der Kohleverflüssigung sind „pro Tonne des gewonnenen synthetischen Treibstoffs (...) zwei Tonnen Kohle als Ausgangsstoff erforderlich(3), und die zweite Tonne endet letztlich ohne weiteren Nutzen als „Extra-Kohlendioxid“ª“ Um eine Superlative(was meinst du damit?) kommt mensch beim besten Willen also kaum herum: Die Frage, ob durch Peak Oil auf weit klimaschädlichere Ersatz-Benzine als Kraftstoffe umgestellt wird oder stattdessen verkehrstechnische Konzepte umgeschmissen und ökologisch und sozial neu erfunden werden, ist vielleicht der wichtigste Punkt, durch den das Level(wieder mir unverständliche wortwahl) des kommenden Klimachaos geprägt wird.

Warum aktuell seitens kapitalistischer Akteur_innen eigentlich fast ausnahmslos an Verbrennungsmotoren festgehalten wird anstatt auf Stromantrieb umzustellen, ist eine kapitalismustheoretische Fragestellung, die hier nicht beantwortet werden kann. Denn eine flächendeckende Umstellung der Autoflotten und der dazugehörigen Infrastruktur auf Stromantrieb würde den Absatz enorm steigern – da während einer gewissen Übergangszeit alle Autofahrer_innen eine neue Karre kaufen müssten. Ist es die Macht gewisser Lobbygruppen, die an Verbrennungsmotoren festhalten will, nationale Anreize die den Autobauern durch nationalökonomische Interessen gesetzt werden, oder profitrationale Berechnungen, dass sich mit Verbrennungsmotoren mehr Umsatz erzielen lässt?

Wie auch immer stehen zwei wichtige Punkte bei der Geschichte fest: Erstens muss die Selbstverständlichkeit, mit der kapitalistische Akteur_innen hier durch ihre rein profit-rationale Denkweisen skrupellos das Todesurteil des Planeten Erde unterschreiben, die parallelen Bemühungen durch einen Green New Deal die Vereinbarkeit von Ökologie und kapitalistisch-ökonomischen Interessen zu suggerieren als Farce enttarnen. (Monstersatz) Zweitens ist das Umstellen auf eine strombetriebene Autoflotte, also eben der Ansatz des Green New Deals, keine Lösung die einen ökologischen Fortschritt bringt. Denn ein entscheidender Teil des Gesamtenergieverbrauchs jedes Autos liegt bereits in seiner Produktion. Der Energieverbrauch hier ist Vergleichbar mit 2000 Liter Sprit pro Auto. Besonders leichte Autos, was Elektroautos sein sollten, werden mit Aluminiumkarosserien gebaut. Aluminium widerum ist 3,5 mal so Energieaufwendig in der Produktion wie Stahl und hat viele weitere negative Umweltauswirkungen. Zudem ist der verbrauchte Strom für Elektroautos auch alles andere als klimaneutral erzeugt. Die steigende Energienachfrage wird ja aktuell hauptsächlich durch eine Ausweitung der Kohlekraft gedeckt.

Wie mensch es auch wendet, am Ende ist der motorisierte Individualverkehr nicht ökologisch organisierbar. Grund also, sich zu überlegen, welcher Maxime diese Verkehrspolitik entspringt, und ob sie überhaupt sinnvoll für eine emanzipatorische Gesellschaft wäre.


„I go to work to buy a car, buy a car to go to work“

Diese alltägliche Absurdität könnte noch ergänzt werden durch: „Arbeiten um Autos zu produzieren, Autos produzieren um zur Arbeit zu kommen“. Im Endeffekt also die Erkenntnis, dass sich der Sinn und Zweck kapitalistischer Produktion nur um sich selber dreht. Produktion der Produktions Willen und höchstens noch der Reproduktion der Arbeitskraft. Und wo diese eigentlich gar keinen Bedarf nach Produktion hat, wird sie erzeugt. Tatsächlich ist es so, dass das Bedürfnis nach motorisierter Automobilität erst mit dem Aufkommen der Massenproduktion dadurch angekurbelt wurde, dass städteplanerische Maßnahmen dafür sorgten, dass die Orte zwischen denen Menschen unterwegs sind möglichst weit auseinandergelegt wurden: Wohnen, Einkaufen, Schule, Freizeit, alles getrennt in verschiedene Viertel. Hier wird das Stadtbild also zum Ausdruck gemacht, von einer herrschaftsförmigen Auftrennung des Lebens in verschiedene Bereiche, die zwar Sinn macht innerhalb der Maxime menschliche Aktivitäten unter Kontrolle zu bringen und warenförmig befriedbare Bedürfnisse zu produzieren, nicht aber unter der Maxime eines selbstbestimmten und -organisierten Lebens.

Das heißt nicht, dass ich das Bedürfniss nach schneller und auch individueller Mobilität außerhalb kapitalistischer Verhältnisse absprechen will, sondern, dass der motorisierte Individualverkehr keine Vorausetzung für die tägliche Organisierung außerhalb entfremdeter Strukturen ist, wozu die strikte Seperation der verschiedenen Tätigkeiten in Konsum und Produktion und die örtliche Auseinanderlegung gehört. Eine kleinräumigere Organisierung und örtliche Zusammenlegung verschiedener Bereiche ist in selbstorganisierten Verhältnissen aus rein praktischen Überlegungen vielerorts wahrscheinlich. Es geht hierbei also nicht um die Einschränkung des eigenen Handlungsradius durch weniger Mobilität, sondern im Gegenteil darum sich so zu organisieren, dass Mobilität keine stressige Angelegenheit ist um den fremdbestimmten Alltag zu bewältigen, sondern eine bewusste Entscheidung, als Mittel für selbstgesteckte Ziele oder auch zum Selbstzweck.


Die Grube, die Straße, das Werk

Zurück also zur Kohleverflüssigung, die die Zerstörungspotenz des Automobils massiv erhöhen wird. In einigen Ländern steht diese Technologie kurz vor der kommerziellen Einführung und es ist aktuell ein Wettstreit in Gange, wer Marktführer bei dieser Technologie wird. Wegen ihrer außerordentlichen Relevanz ist es notwendig einen großen Fokus auf den Widerstand gegen diese Technologie zu setzen, sowie auf alle anderen Brennstoffe die das Benzin ablösen sollen. Es gibt keinen ökologischen motorisierten Individualverkehr! Angriffspunkte gegen diese Technologie gibt es viele, da hier die beiden Themen Kohleabbau und Straßenverkehr verbunden werden können.



1. 10.05.2007, MaschinenMarkt, das Industrieportal 2. oelschock.de 3 http://www.faz.net/s/Rub58F0CED852D8491CB25EDD10B71DB86F/Doc%7EE643513048CC54E28BD09BF01E1C29D7C%7EATpl%7EEcommon%7EScontent.html