2011-02:Werkstatt für Aktionen und Alternativen

Aus grünes blatt
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WAA – „Werkstatt für Aktionen und Alternativen“

waa Ab September wird bei Buir im Rheinischen Braunkohlerevier, etwa 40 km von Köln, die „Werkstatt für Aktionen und Alternativen“ (WAA) entstehen. Es soll ein Ort des kreativen Widerstandes, des emanzipatorischen Lernens und experimentellen Lebens werden. Inspiriert durch die Klimacamps der radikalen Klimabewegung Großbritanniens und die Idee der offenen Räume, sollen durch die Kombination von direkten Aktionen, Weiterbildung, Vernetzung, herrschaftsfreien Zusammenlebens und offener Nutzbarkeit der Räume möglichst gute Voraussetzungen zur Selbstermächtigung geschaffen werden.


Teil des Problems…

Eines der Schwerpunktthemen in der WAA wird aufgrund des gewählten Standortes die Klimaproblematik sein. Eine Frage, in der sich eigentlich alle einig sind und das Problem bekämpfen wollen. Und dennoch ist in der Welt eine rasante Verschärfung der Klimakatastrophe zu beobachten. Dadurch drängt sich der Verdacht auf, dass die Lösung nicht darin liegen kann, dass die so degradierten Konsument_innen die richtigen Waren in ihren Einkaufskorb packen, die Manager_innen der Großkonzerne verantwortungsbewusstere Entscheidungen treffen oder die Wissenschaftler_innen die richtigen Technologien designen. Nein. Das Koordinatensystem, innerhalb dessen alles grün sein soll, ist faul.
Um ein Beispiel aus dem Blauen zu pflücken (bevor es dann grün gemacht wird): Erdöl wird gefördert, um industrielle Landwirtschaft zu betreiben und damit essbare Waren herzustellen. Essbare Waren werden hergestellt, um sie um die halbe Welt zu verschiffen. Um die halbe Welt werden sie verschifft, um am Zielort verbrannt zu werden. Verbrannt werden sie, um die Preise für Nahrungsmittel stabil zu halten. Alles stets um den maximalen Profit zu gewinnen. Verhungern tun währenddessen täglich 24.000 Menschen, weil sie nichts zu essen haben. Nichts zu essen haben sie, weil der Zweck Nahrungsmittel herzustellen, innerhalb der herrschenden Verhältnisse nicht darin liegt, Menschen zu sättigen, sondern die Konten von Konzerne zu füllen.
Ein Koordinatensystem, in dem viel Energie und Arbeitsaufwand betrieben wird, damit Menschen verhungern, ist nicht dasjenige, innerhalb dessen das Klima zu retten ist, und auch nicht das, innerhalb dessen Menschen sich sinnvoll organisieren können.
Es gibt unzählige weitere Beispiele, die nach dem selben tödlichen Prinzip funktionieren. Sei es, dass täglich Millionen von nicht-menschlichen Lebewesen ausgebeutet und geschlachtet werden, obwohl die Kalorienanzahl der verfütterten Nahrungsmittel ein vielfaches der tierischen Endprodukte umfassen. Sei es, dass gentechnisch veränderte Futterpflanzen anstelle der Regenwälder rücken und Menschen dadurch nicht nur ihrer Lebensgrundlage durch Vertreibung beraubt, sondern wie die Natur mit Spritzmitteln vergiftet wird oder seien es die Kriege um Erdölressourcen und Machtausbau, bei denen sich einerseits Unternehmen direkt am fließenden Blut allen Lebens eine goldene Nase verdienen und denjenigen, die es schaffen, zu fliehen spätestens an der europäischen Grenze das Todesurteil gesprochen wird.

Die Klimakatastrophe wird in der WAA jedoch nur ein Thema unter anderen sein, da sie nicht als isolierter Widerspruch innerhalb einer ansonsten funktionierenden Logik betrachtet werden kann. Der Kapitalismus zerstört seine eigenen Grundlagen – wird er nicht überwunden. Haben 150 Jahre sozialdemokratischer Parteikampf uns 6,50 Euro Stundenlohn für Arbeiten in der Gastronomie und Rente mit 67 ermöglicht, schaffen 50 Jahre parteigrüne Umweltbewegung vielleicht ein Recht auf sauberes Wasser für Europa und bessere Zelte in den Camps der Klimaflüchtlinge.
Es zeigt sich bereits, dass es um mehr Widersprüche geht, als den zwischen Stadtbeton und Landkommune. Es geht auch um Geschlechterrollen, Sexismus, Abschiebung, Vertreibung, Antispeziesismus, eine Auseinandersetzung mit Knast, Repressionen und Veganismus.
Die Nutzung des Tieres als Rohstoff schafft für nicht-menschliches Leben die Hölle auf Erden und für Menschen eine Erde, die langsam zur Hölle wird – durch vergiftete Böden neben Tierhaltungsanlagen und gerodeten Wäldern. Der Widerspruch des Klimas hängt zusammen mit dem der Geschlechterfrage, dem Kapitalismus, dem Tier-Mensch-Verhältnis und allen anderen Widersprüchen, in denen wir leben.

Eine (Klima-) Bewegung von unten hat also zwangsweiße andere Ziele als ein grün-kapitalistischer Rundumschlag. Geht es innerhalb herrschender Logik nur um den Erhalt der Umwelt, um so weitermachen zu können wie bisher, kann es uns nur um eines gehen: Einen radikalen Bruch mit einer Welt, die Lebewesen als Mittel zum Zwecke der Anhäufung von Reichtum degradiert, hin zu einem bedarfsorientierten Zusammenschluss der freien Individuen. Die WAA soll nicht nur der Ort des Bruches, der Kritik und des direkten Widerstandes sein, sondern auch der Utopie, der freien Vereinbarung und der Vernetzung.


… oder Teil der Lösung

Inspiration Klimacamps

Einen wichtigen Impuls schafften die Klimacamps, die ihren Ausgangsort in Großbritannien hatten. Aufbauend auf den vier Säulen – Direkte Aktionen gegen Klimazerstörung, radikal klimaneutrales Leben auf den Camps, Weiterbildung über die Klimaproblematik und richtige und falsche Lösungen und Vernetzung – treffen sie genau den richtigen Vierklang der Selbstermächtigung. Durch den Rahmen der Camps, der alle vier Elemente verbindet, wird deren Wirkung multipliziert. Denn klimaneutrale Praktiken sind zwar auch nett, wenn sie im eigenen Hintergarten ausprobiert werden, ihre einzige Relevanz sind dann aber die konkret gesparten Emissionen. Im Kontext eines Klimacamps sind sie aber mehr: Nämlich eine Anklage an die herrschende kapitalistische Produktionsgesellschaft, durch das konkrete Aufzeigen möglicher, besserer Alternativen. Direkte Aktionen sind für sich genommen zwar immer nervende Nadelstiche für die Akteur_innen des Untergangkommandos. Mit einem Klimacamp als Hintergrundkulisse für die Angriffe auf klimazerstörende Industrien können diese auch gesamtgesellschaftlich eine ganz andere diskursive Legitimität erfahren. Weiterbildung ist für sich genommen auch eine jederzeit erstrebenswerte Sache, wo sich aus ihr aber keine konkreten Handlungsoptionen ergeben, bleibt sie eine akademische Irrelevanz. Ein nettes Analysegespräch auf der Zuschauer_innenbank.
Die vier Säulen zusammengeführt können aber genau das Notwendige erreichen: Zu gleichen Teilen das bestehende Koordinatensystem samt seiner konkreten Auswirkungen anzugreifen und in den entstehenden Lücken zarte Pflänzchen eines selbstorganisierten, klimaneutralen Lebens zu pflanzen, auf dass sie zu Wäldern der Widerstandsfähigkeit werden. Und bei all dem jederzeit genug theoretische Reflektion über den einzuschlagenden Weg haben, nach dem Motto: Fragend schreiten wir voran. Temporär konnten viele der vergangenen Klimacamps genau diese Zielsetzung umsetzen. Und doch ist all das zu wenig! Denn nach 5 bis 10 Tagen Klimacamp heißt es jedesmal „back to reality“ anstatt „change reality“. Über das Camp herausgehende Organisierungsprozesse sind selten oder nur im kleinen Rahmen. Das Camp bleibt ein Event und der sonstige Alltag der beteiligten Menschen weit hinter der angemessenen Radikalität, die die Verhältnisse erfordern, zurück.
Von dieser Analyse ausgehend wollen wir einen Versuch wagen. Wir wollen einen Teil des Schwungs, der für temporäre Klimacamps erzeugbar ist, mit in den Alltag nehmen. Und zwar ebenfalls als gemeinsamer Prozess und einem dafür geeigneten Ort – die WAA. Dabei gehen wir nicht davon aus, dauerhaft die Anzahl an Menschen mobilisieren zu können wie auf einwöchigen Klimacamps. Das ist aber auch nicht die Zielsetzung. Wir wollen mit einigen Dutzend – auch wechselnden – Menschen dauerhaftere, tiefere Strukturen aufbauen.
Das Konzept sehen wir dabei nicht in erster Linie als Kritik oder Gegensatz zu temporären Klimacamps, sondern als Ergänzung. An einer möglichst tiefen Kooperation mit den drei deutschsprachigen Klimacamps im Sommer 2011 sind wir interessiert. Deshalb haben wir auch unsere Planungstreffen auf die beiden Camps in Deutschland gelegt.

School of radical transition

Neben den Aktionen soll ein weiteres Herzstück der WAA die „school of radical transition“ sein. Ein Bildungs- und Seminarort, der mit einem durchgängigen Programm die drei oben genannten Säulen verbinden soll. Kurse und Seminare sollen dort angeboten werden, über konkrete Praktiken des klimaneutralen Lebens, Theoretisches über Allerlei im Zusammenhang mit der Klimazerstörung, anderen Konfliktfeldern, deren Ursachen und potentiellen Lösungen und über konkrete Widerstandsmethoden.
Und das Ganze in einer DIY-Kultur. Das heißt, dass wir ein hochwertiges Programm organisieren wollen, bei dem jede_r aufgefordert ist, sich daran zu beteiligen und eigenes Programm anzubieten.
Zudem soll die school of racikal transition ein Ort der Debatte sein: Da wir nicht an einheitlichen Konzepte von oben glauben, und diese auch nicht erstrebenswert finden, halten wir eine Debatte von unten darüber, wie der Klimaproblematik und anderen Spannungsfeldern entgegengewirkt werden kann, für notwendig. Eine Debatte, an der alle eingeladen sind, sich zu beteiligen, die nicht auf Expert_innen-Hierarchien setzt, die nicht nach einer Vereinheitlichung strebt, sondern verschiedene Positionen aushalten kann, in der Hoffnung, dass aus der Spannung zwischen ihnen Synthesen erspringen.


Standort, Offener Raum und funktionelle Nutzung

Die WAA befindet sich im Rheinischen Braunkohlerevier, welches mit drei Kohletagebauten und sechs Mega-Kraftwerken der größte CO2-Emittent in ganz Europa ist. Mit den lokalen Betroffenen, die mit ganzen Dörfern zwangsumgesiedelt werden, wollen wir solidarisch gegen die Zerstörung zusammenarbeiten. Es soll ein Gegenbild zur kapitalistischen Destruktivität geschaffen werden. Durch die bildliche Gegenüberstellung wollen wir die beiden Zukunftsvisionen verdeutlichen.

An Infrastruktur setzt sich die WAA konkret aus der school of racikal transition und weiteren offenen Räumen, die funktionell genutzt werden, zusammen. Das Prinzip des offenen Raumes bedeutet, dass der Ort prinzipiell allen offen steht und es keine feste Gruppe oder Einzelpersonen gibt, die festlegen, was, wie, wann in den Räumlichkeiten geschieht. Es basiert darauf, dass stets die Leute, die direkt betroffen sind, entscheiden. Wichtig ist dabei, dass die Bedürfnisse anderer berücksichtigt werden und sich jede_r einzelne verantwortlich fühlt.
So leben die Menschen, die bisher Teil der WAA sind, vegan bzw. freegan. Das heißt, es werden keinerlei tierliche Produkte konsumiert bzw. zumindest nicht gekauft. Die Intentionen liegen dabei zum einen in dem Zusammenhang des Konsumierens von Tierprodukten und des Klimawandels, zum anderen in einer grundlegenden Kritik der Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere. Diese Lebensweise soll keinem_r aufgezwungen werden, doch ein Auseinandersetzten damit und den Versuch sich erst einmal darauf einzulassen ist gewünscht.
Es wird niemensch geben, der_die bestimmt, wo’s lang geht – egal ob bei der Essensbesorgung, dem Hausausbau oder bei direkten Aktionen. Selbstorganisierung ist hier das Zauberwort.
Durch die funktionelle Nutzung der Räume wird die Logik des Privateigentums in Frage gestellt und so viel wie möglich gemeinschaftlich genutzt und organisiert. So findet die Zuteilung der Zimmer nicht nach Privatleuten statt (was an einem Ort, der allen offen steht und somit ständig unterschiedliche Menschen da sind auch kaum Sinn ergeben würde), sondern nach Funktionen. So werden beispielsweise Küchen, Werkstätten, Schlafräume, Seminarräume und Rückzugsräume entstehen.

Und action…

Die WAA soll als Ausgangsort für vielfältige Aktionen dienen: symbolische, kreative und direkte. Ein offener Raum bietet sich optimal als Aktionsbasis an, da neue und wechselnde Menschen selbstverständlich sind, Materialen aufgrund der gemeinschaftlichen Nutzung der Räume und Utensilien keinen Einzelpersonen zuordnungsbar sind und es keine übergeordnete Aktionsmoral gibt, sondern immer die handelnden Menschen im Mittelpunkt stehen, die nach einer reflektierten Abwägung entscheiden mögen. Wichtig ist es uns dabei zusammen mit Menschen aus der Region, sowie temporär oder dauerhaft anwesenden Aktivist_innen gemeinsam Aktionsweisen zu entwickeln, die eine Selbstermächtigung der einzelnen Menschen zum Ziel haben und Sand im Getriebe sind.

Der Weg bis zum Start

Die Eröffnung der WAA findet direkt im Anschluss an das diesjährige Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier statt. Wenn du dich angesprochen fühlst, gibt es diverse Möglichkeiten, wie du dich einbringen kannst. Komm auf die nächsten beiden Vorbereitungstreffen am 7.–14.8. auf dem Klimacamp in der Lausitz und am 26.8.–4.9. auf dem Klimacamp in Mannheim, melde dich bei uns unter waaÄTTriseup.net[1], verbreite unsere Existenz weiter oder biete deine Fähigkeiten (Layouten, Schreiben, Rechereche vor Ort,…) an.

Lasst uns das bestehende System und seine konkreten Auswirkungen angreifen und in den entstehenden Lücken zarte Pflänzchen eines selbstorganisierten Lebens pflanzen, auf dass sie Wälder werden.

  1. Zum Schutz vor automatischen Mailadressen-Robots, die nach Adressen suchen und diese dann mit Spam-Mails überfluten, ist diese Mailadresse für diese Robots unleserlich formatiert. Um eine korrekte Mailadresse zu erhalten muss ÄTT durch das @-Symbol ersetzt werden.