2013-02:Knastkämpfe in Kalifornien

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Knastkämpfe in Kalifornien

apendix Am 5. September 2013 erklärte ein Gefangenenkollektiv, den koordinierten Hungerstreik am 60. Tag zu unterbrechen: *„Wir wollen klarstellen, dass unser Widerstand gegen jahrzehntelange staatlich verhängte Folter durch das System der Isolationshaft noch lange nicht vorbei ist. Unsere Entscheidung, den dritten Hungerstreik in zwei Jahren zu unterbrechen, wurde nicht leichtfertig gefällt. Aus unserer Perspektive haben wir ein weites Stück des Weges zu unseren Zielen errungen. Nichtsdestotrotz gibt es noch viel zu tun. Unser Widerstand wird weiter aufgebaut und wird wachsen, bis wir unsere Menschenrechte erkämpft haben.”

Das erste Mal starteten Gefangene einen Hungerstreik mit tausenden Streikenden im Juli 2011 - 12.000 Gefangene, sowie einige Familienmitglieder und Unterstützer*innen waren beteiligt. Aufgrund eines Versprechens des CDCR (California Department of Corrections and Rehabilitation), weitreichende Verbesserungen zu erwirken, wurde der Streik beendet. Nachdem die Versprechungen immer wieder ins Leere liefen, begannen einzelne Gefangene ab 1. Juli diesen Jahres einen unbefristeten Hungerstreik, dem sich am 8. Juli 30.000 Gefangene aus zwei Dritteln der kalifornischen Gefängnisse anschlossen, die meisten davon selbst nicht in Isolationshaft.

Von den Koordinator*innen wurde stets dazu aufgerufen, zu reflektieren, ob es für eine*n noch Sinn macht, den Hungerstreik aufrecht zu erhalten und keinen Gruppendruck aufkommen zu lassen, dass kämpfende Gefangene gegen ihren eigenen Willen weiter hungern. Am 5. September waren 100 Gefangene in Hungerstreik, von denen 40 die gesamten 59 Tage feste Nahrung verweigert hatten. Nach 10 Tagen Hungerstreik wurden 16 Menschen, die als Leitende Personen herausgepickt wurden, in tiefere Isolation verlegt: Neben den SHU (Security Housing Unit)-Einheiten gibt es Ad-Seg (Administrative Segregation)-Trakte.

Hierzu ein Gefangener: „Der Unterschied zwischen Ad-Seg und SHU ist folgender: *In SHU dürfen Häftlinge Privatbesitz haben: Bücher, TV, Schreibmaterial, Essen, Photos, usw.. Ein SHU-Häftling, der in die Ad-Seg verlegt werden soll, wird in seiner Zelle gezwungen, sich nackt auszuziehen, bekommt (neue) Anstaltskleidung und wird in ein separates Gebäude zur Ad-Seg eskortiert. Dort kommt der Mensch in eine leere Zelle mit nichts als den Klamotten bei sich."

Am 19. August erging ein richterlicher Beschluss, wonach hungerstreikende Gefangene zwangsernährt werden können, wenn irgendwie konstruiert wird, dass sie ihre eigene Erklärung, dass sie das nicht wollen, in nicht-zurechnungsfähigem Zustand unterschrieben oder – von den Gangs – zur Unterschrift genötigt worden seien. Am 28 wurde dieser Beschluss dann auch angewandt und 51 Häftlinge zur Zwangsernährung in eine medizinische Einrichtung verschubt. *Am 22. Juli starb der hungerstreikende Gefangene Billy Michael Sell. Die Todesursache ist umstritten.

Neben der Masse an Involvierten ist als relativ neue Entwicklung zu beobachten, dass sich die Gefangenen nicht länger nach Hautfarbe, Klasse oder – tatsächlicher oder unterstellter – Gangzugehörigkeit spalten lassen. Im Gegensatz zu deutschen Verhältnissen sind Knastaufenthalte in den USA weniger tabuisiert. Angehörige zeigen sich öffentlich unterstützend und scheinen sich weniger für ihre inhaftierten Bezugspersonen zu schämen oder dergleichen. *Ich halte für plausibel, dass diese Unterschiede sich durch die – in den USA im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung höhere – Anzahl Inhaftierter (laut Wikipedia in den USA ca. 0,76%, in Deutschland ca. 0,078%) ergeben. 80.000 Menschen in den USA befinden sich in Isolationshaft, manche davon seit über 40 Jahren. *In Deutschland kennen relativ wenige Menschen (ehemalige) Inhaftierte, bzw. wissen davon. Dem Dualismus "wir" –, "die bösen Kriminellen" (und "mit denen hab' ich nichts zu tun") scheint wenig entgegen zu stehen - auch in der Linken.

Mehr:

Kritische Stimmen zum Mittel Hungerstreik in:


Was ist eine Security Housing Unit?

  • eine ca.1.85 x 2.75m Zelle, ein Knast im Knast, in dem sich ein*e Gefangene*r mind. 22 Stunden pro Tag aufhält
  • sensorische Deprivation (Mangel an Außenreizen, weiße Folter): kein Sonnenlicht, keine frische Luft, keine Ausbildung oder Möglichkeiten einer Weiterbildung und keine Telefonate
  • sehr wenig menschlicher Kontakt, oft nicht einmal mit Wärter*innen, dafür rund um die Uhr elektronische Überwachung
  • gelegentlicher Freigang in einem überdachten schmalen Innenhof, der nur wenig größer ist als die Zelle, Leibesvisitationen, Hand- und Fußketten bei jedem Verlassen der Zelle


Wer ist dort?

Gefangene (85% people of color), die das CDCR (California Department of Corrections and Rehabilitation) aus den 32 anderen Gefängnissen aussucht wegen:

  • Gangmitgliedschaft (sehr häufig)
  • juristische Unterstützung anderer Gefangener
  • Verweigerung der Kooperation mit dem Knastsystem
  • „Politische Gefangene”, Verbindungen mit politischen oder anderen sozialen Gruppen außerhalb des Knastes
  • mehrfacher Verstoß gegen kleinere Regeln
  • Gefangene, die psychisch krank oder labil sind
  • Jeder wenn die anderen Zellen voll sind und dort welche frei


Wie kommt mensch dort wieder heraus?

  • Aussagen über andere Gefangene ("Debriefing”) oder zukünftige Spitzelaktivitäten
  • 6 Jahre ohne (behauptete/ nachgewiesene) „Gang"-Aktivitäten“
  • Sterben
  • gelegentlich durch Begnadigungen


Forderungen der Gefangenen

1. Das Ende der Gruppenbestrafung und der behördlichen Willkür (Administrative Abuse)
Diese Forderung richtet sich gegen die Praxis des CDCR (California Department of Corrections and Rehabilitation), Gruppenstrafen als Reaktion auf Regelverstöße von Individuen anzuwenden. „Sicherheit und Schutz” werden vorgeschoben, um Strafen wie einen unbegrenzten SHU-Status und fortwährende Einschränkungen der wenigen vorhandenen Mittel und Möglichkeiten zu rechtfertigen.

2. Das Ende des Verratszwanges (Debriefing Policy) und eine Änderung der aktiven und passiven Gang-Mitgliedschafts-Kriterien
Angenomme Gang-Mitgliedschaft ist einer der Hauptgründe für die Unterbringung in Isolationshaft. Aussagen über andere Gefangene – vor allem bezüglich Gang-Mitgliedschaften – werden häufig im Austausch mit besserem Essen oder der Entlassung aus der SHU. Aussagen sind ein Sicherheitsrisiko für Gefangene und ihre Familien, weil sie dann als“Spitzel” gelten.

Die Identifikation als Gang-Mitglied durch das CDCR erfolgt nach Kriterien wie Tattoos, Lesematerial und Verbindungen zu anderen Gefangenen (wobei Kleinigkeiten wie das Grüßen auf dem Gang ausreichend sein können). Viele Gefangene berichten, dass sie mit eindeutig falschen Beweisen als Gang-Mitglieder klassifiziert wurden

3. Das Ende der Langzeit-Isolationshaft - in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der "US Commission on Safety and Abuse in America’s Prisons"
CDCR soll den Empfehlungen der UA-Kommission von 2006 folgen:

  • Die Isolationshaft soll beendet werden. SHU- und Ad-Seg-Gefangene sollen regelmäßigen sinnbringenden Kontakt haben können und von extremer physischer (Sinnes-)Deprivation verschont werden, die bekanntermaßen langfristige Schäden verursacht.
  • Absonderung soll nur die letzte Option sein. Schafft eine produktivere Form der Haft, z.B. dadurch, dass SHU- und Ad-Seg-Gefangene Zugang zu sinnbringenden Selbsthilfegruppen haben, zu Arbeit, Bildung, religiösen und anderen produktiven Aktivitäten, die mit einem Sinn der Gemeinschaftszugehörigkeit verbunden sind.
  • Schafft die Langzeit-Isolationshaft ab. “"Entlasst" die von unbegrenzter Isolation Betroffenen in den Normalvollzug.
  • Ermöglicht SHU-Gefangenen sofortigen Zugang zu I) Ausreichend natürlichem Sonnenlicht II) Annehmbarer Gesundheitsversorgung, inklusive der Verlegung von chronisch kranken SHU-Gefangenen in die New Folsom Medical SHU”-Einrichtung.

4. Versorgung mit genug nahrhaftem Essen
Stoppt die Praxis, ausreichendes Essen zu verwehren und stellt voll- und nährwertige Mahlzeiten zur Verfügung, inklusive der Berücksichtigung von besonderen Diätanforderungen, und erlaubt Gefangenen, Vitaminzusatztabletten zu erwerben.
Es muss aufgehört werden, Essen als ein Mittel zur Bestrafung von SHU-Gefangenen zu verwenden.
Die Essensausgabe soll von einem unabhängigen Angestellten auf die Vollständigkeit der Mahlzeit überwacht werden. Die Gefangenen, deren Job es ist, in den SHU Essen zu verteilen, sollen unabhängig von dem Essen, das für die SHU bestimmt ist, mit Nahrung versorgt werden

5. Erweiterung und Einrichtung von sinnvollen Programmen und Rechten für Gefangene mit unbegrenzter Sicherheitsverwahrung (SHU)
Zum Beispiel:
Verlängerung der Besuchszeiten; ein Photo pro Jahr; ein wöchentliches Telephonat; zwei Pakete mit 13,5kg Inhalt pro Jahr mit mehr erlaubten Gegenständen und Nahrungsmitteln, incl. Waren in Originalverpackung; mehr TV-Kanäle; TV-Radio-Kombinationsgeräte oder TV und kleine, batteriebetriebene Radios; Kunstbedarf wie Malpapier, Filzstifte, kleine Stücke Buntstifte, Wasserfarben, Kreide, etc.; Jogginganzüge und Mützen; Wandkalender; installierte Klimmzugstangen und Stützbarren in SHU-Höfen; Fernkurse incl. der Möglichkeit, Klausuren zu schreiben;


Termine

Antiknasttage, die Erste
15. – 17. November 2013,
Bielefeld, Infoladen Anschlag
Kontakt: antiknast ÄTT riseup.net[1]
https://infoladenanschlag.wordpress.com
Antiknasttage, die Zweite
Drei volle Tage zw. 27.12.14 und 01.01.14
Nexus, Braunschweig

Versuch, das Thema in der Linken präsenter zu machen - Austausch mit Gefangenen - Es werden noch Leute für die Orga gesucht

Kontakt: antirepbs.blogsport.de


Bilder

Logo des Hungerstreiks
Luftaufnahme: Pelican Bay-Gefängnis-Foto: http://commons.wikimedia.org
Supermax(imum-security)-Zellentrakt-Foto: Andy Worthington
Modell einer SHU-Zelle, das in der Umgebung von Pelican Bay aufgestellt wurde
SHU-Zelle, Pelican Bay


  1. Zum Schutz vor automatischen Mailadressen-Robots, die nach Adressen suchen und diese dann mit Spam-Mails überfluten, ist diese Mailadresse für diese Robots unleserlich formatiert. Um eine korrekte Mailadresse zu erhalten muss ÄTT durch das @-Symbol ersetzt werden.