2013-02:Tar Sands

Aus grünes blatt
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Teil 2

"Tar Sands":
Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts

fb Im ersten Teil dieses Artikels haben wir einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen, Abbautechnologie sowie die Ölindustrie in Alberta gegeben und haben begonnen tiefer in die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie einzusteigen. Hier setzen wir das Thema der Umweltzerstörung fort.



Umweltzerstörung

Mit den Worten "Es bedarf Energie, um Energie zu machen" überschreibt das Tar Sands-Werbemuseum "Oil Sands Discovery Center" das Thema der ungezügelten Energieverschwendung, die mit dieser Industrie einhergeht. Der Betrieb von Crushern, "Hydrotransport", In situ-Anlagen, Upgradern und anderen Anlagen, die notwendig sind, um erst einmal eine rohölähnliche Grundsubstanz zur Weiterverarbeitung zu schaffen, sind unglaublich energiehungrig. In den meisten Stadien wird in erster Linie Hitze benötigt, wofür Erdgas verbrannt wird. Die Abwärme wird gleichzeitig zur Stromerzeugung genutzt, der gewissermaßen als Abfallprodukt dieser Anlagen ins Netz eingespeist wird. Die Mengen an verheiztem Erdgas sind so riesig, dass die produzierte Elektrizität nicht im eigenen System verwendet werden kann, sondern Überschüsse ins öffentliche Netz eingespeist werden. Das, obwohl in großem Stil Anlagen und Fahrzeuge auf Strombetrieb umgerüstet sind, um dieses Manko zu reduzieren. Auch das geht mit Energieverschwendung einher, denn Benzin- und Dieselmotoren sind effizienter als Strommotoren.

Bis zu 30 Kubikmeter Erdgas werden pro Barrel gewonnenen Öls verbraucht. Die Ausbaupläne der Tar Sands-Industrie werden diesen Bedarf massiv steigern. Drei Millionen Barrels sollen pro Tag ab 2016 gefördert werden.

Aber so kommt es zu der absurden Situation, dass eine Industrie, die sich damit brüstet unkonventionelle Ölquellen in Zeiten verknappter Erdöl- und Erdgasressourcen zu erschließen[1], selbst einen nicht unwesentlichen Teil der verbleibenden Vorräte verbraucht. Es wird spekuliert, dass bei der Gewinnung von Energie aus den Tar Sands genauso viel oder sogar mehr Energie aufgewandt wird, als was am Ende produziert wird. Dass ein Teil der Abfallprodukte aus dem Upgrading ebenfalls als Brennstoff eingesetzt wird, vermag das nicht auszugleichen. Ganz genau ist das von außen schwer zu prüfen, da solche Verbrauchs- und Produktionszahlen nur begrenzt zu erhalten sind.


Atomenergie+Tar Sands

Die energiehungrige Tar Sands-Industrie zu beliefern war ebenfalls Ausgangspunkt für den Anlauf in 2007 erste Atomkraftwerke in Alberta zu errichten. Zwei oder drei Geschäftsleute aus Calgary, die u.a. in der Ölindustrie viel Geld gemacht hatten, hatten sich schon 2006 überlegt, wie mensch sonst noch Profit machen könnte - und da sie von der segenbringenden Atomwirtschaft gehört hatten, dachten sie wohl, dass sie da ihr Kapital gewinnbringend anlegen könnten. Sie gründeten die Firma "Energy Alberta", deren Anliegen der Bau von Atomkraftwerken in dieser bisher atomindustriefreien Provinz Kanadas war. Mit diesem Firmennamen wurde der Eindruck erweckt, die Regierung Albertas sei an dem Unternehmen beteiligt. Diese Leute hatten keine Ahnung von Atomkraft - weder hinsichtlich Design und Sicherheitsaspekten, noch in Bezug auf die atomrechtlichen Verfahren. Der erste vorgeschlagene Standort hätte nicht den Kühlwasserbedarf decken können, aber es war auch völlig unklar für wen die Energie produziert werden sollte - für die Tar Sands-Industrie, Export, Haushalte? Diese Milliarden-Dollar-Investitionsidee wurde in die Welt gesetzt ohne Businessplan und Vorstellung was das bedeuten würde. So kam es auch, dass der erste Antrag von den Behörden als unzureichend abgewiesen wurde.

Energy Alberta wollte einen CANDU-6-Reaktor so umrüsten, dass er 75% Dampf und 25% Strom erzeugen würde, und damit sechs Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag ersetzen und täglich 175.000-200.000 Barrels Öl produziert werden könnten.

Die ersten Voschläge bewarben die AKW-Idee als Ersatz für die verbrauchten Vorräte an heimischem Erdgas, die von der Tar Sands-Industrie beansprucht wurden. Ein 2007er Bericht des "House of Commons Standing Committee on Natural Resources" skizzierte den Einsatz von 600 MW-Reaktoren, um die Verarbeitung von jeweils 60.000 Barrel Öl pro Tag zu versorgen. Basierend auf dem für 2015 prognostizierten Bedarf wurde so die Vision umrissen, 20 Großkraftwerke in einer Region der Größe der Schweiz zu konzentrieren. Diese sollten Prozesswärme (nicht Strom) für die Ölindustrie liefern, denn an Elektrizität bestand gar kein Bedarf. Auch die Verwendung der Atomkraftwerke zur Wasserstoffproduktion für das Upgrading wurde vorgeschlagen.

Neben der Konzentration so vieler Großkraftwerke in einer Region und die damit einhergehenden Kühlmittelengpässe war die örtliche Gebundenheit der Kraftwerke ein anderes Problem, denn die Abbaugebiete verlagern sich mit der Zeit, die AKW dagegen könnten nicht folgen. So wurde eine neue Idee entwickelt: der Bau von 120 kleineren Reaktoren mit bis zu 100 MW, die großflächig aufgestellt würden.

Es wurde schnell klar, dass auch dieses Konzept nicht durchdacht und unpraktikabel ist, schon allein weil es nirgendwo Reaktordesigns, wie sie für die Tar Sands-Industrie gebraucht würden, in der Praxis gibt und auch die Genehmigungsverfahren für solche nichtkonventionelle Atomkraftwerke nicht ausgelegt waren. Aber mit dieser Idee hatte die Atomindustrie einen Fuß in der Tür in Alberta, daher wurde das Vorhaben weiter verfochten.

Die Atomindustrie stieß aber nicht nur auf Widerstand in der Bevölkerung. Auch die Ölindustrie zeigte sich nicht sehr offen und herzlich gegenüber diesen Plänen. Da mag einerseits ein Konkurrenzneid mitgespielt haben, denn bisher ist die Ölindustrie unumstritten mächtigster Spieler in Alberta - was sich mit dem Einzug der Atomwirtschaft sicherlich verändern würde. Andererseits gab es aber auch Bedenken, weil mögliche Unfälle oder Anschläge auf die Atomanlagen die andere profitable Geldquelle ebenfalls vernichten könnten.

Nach ersten kritischen Vorträgen, die die Unsinnigkeit der Atomenergieversorgung der Tar Sands-Industrie aufzeigten, lenkten die Vertreter*innen der Atomindustrie schnell ein und die Idee der Dampferzeugung für die Ölwirtschaft schien vom Tisch. Stattdessen wurde nun zur konventionellen Stromerzeugung, nicht für die Tar Sands, sondern für normale Verbraucher*innen, umgeschwenkt. Der erste Anlauf für ein solches konventionelles AKW wurde in Whitecourt/Alberta gestartet.

Schon ziemlich bald gaben die Gründer*innen von Energy Alberta auf und verkauften ihr Unternehmen und ihre Pläne Ende 2007 an einen erfahrenen Atomkonzern, Bruce Power aus Ontario. Der ist Betreiber von mehreren AKW und hat das technische und personelle Know-How für ein erfolgversprechendes atomrechtliches Genehmigungsverfahren. Bruce Power investierte zuerst etwa 50 Millionen Kanadische Dollar in eine große PR-Kampagne für das AKW. In Ontario verfolgt Bruce Power ein interessantes Geschäftsmodell: die Reaktoren werden von den staatlichen Eigentümern gepachtet und auf das Profitmachen mit dem Stromverkauf fokussiert. Die Verantwortung und Kosten z.B. für die Entsorgung des Atommülls verbleibt beim Staat, interessiert Bruce Power also gar nicht. In Alberta wäre Bruce Power erstmals selbst Eigentümer eines AKW mit den damit verbundenen Pflichten geworden - ein Gebiet, auf dem auch dieses Unternehmen keine Erfahrung hat.

Der Widerstand gegen die Atomindustrie war in Alberta dann überraschend hoch. Die Lobby hatte nicht mit den Aktivist*innen und Fachleuten gerechnet, die - zufällig - in Alberta lebten und sofort mit Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit begannen, als die ersten Pläne bekannt wurden. Es gelang ihnen die Inkompetenz der Antragsteller deutlich zu machen und Proteste zu mobilisieren. So verlagerte sich die Zielrichtung der Atomunternehmen auf das benachbarte Saskatchewan, wo in großem Stil Uran abgebaut wird und eine naive Regierung von einer Rennaissance der Atomkraft träumte - einschließlich der Errichtung einer neuen Industrie für die Atomstromerzeugung, Wiederaufbereitung, Atommüllentsorgung, Uranabbau und allem was dazu gehört. Inzwischen hat die Lobby Alberta aufgegeben und konzentriert sich umso mehr auf Saskatchewan.

Somit ist die absurde Idee der Atomenergieversorgung der Tar Sands - vorerst vom Tisch. Aber sie war Auslöser einer Atomkampagne erst in Alberta und dann in Saskatchewan, die noch Folgen haben kann.


Tar Sands - was ist das?

Genaugenommen sind die Tar Sands eine komplexe Mischung von Quartzsand, Schlick, Ton, Wasser, Spurenmetallen und Bitumen. Diese Stoffe müssen abgetrennt werden, um künstliches Rohöl zu produzieren.

Der Anteil von Bitumen in den Tar Sands unterscheidet sich je nach Lagerstätte. Als "reich" werden Lagerstätten mit einem Gehalt von mehr als 10% bezeichnet, 6-10% gelten als durchschnittlich und alles darunter sind arme Lagerstätten. Aufgrund des geringen Bitumenanteils gelten arme Lagerstätten für gewöhnlich als unrentabel.

Ein Sandkorn ist der Kern der komplexen Struktur der Tar Sands-Partikel. Jedes Korn ist von einer dünnen Schicht Wasser umgeben, die Ton- und Schlickpartikel sowie Mineralien enthält. Das Bitumen füllt den Raum zwischen Sandkorn und der Wasserschicht. Mit technologischen Termini werden die Tar Sands von Alberta werden als "water wet" und wasserbindend bezeichnet und unterscheiden sich damit von anderen Vorkommen in anderen Teilen der Welt. Hier ist der Einsatz von heißem Wasser zur Abtrennung des Bitumens technisch möglich.

Bitumen ist genaugenommen nicht eine einzelne Substanz, sondern eine Mischung aus flüssigen, halbfesten und festen Kohlenwasserstoffen. Genau wie andere Kohlenwasserstoffe - z.B. Kohle oder Erdgas - ist Bitumen ein organischer Stoff, der im wesentlichen von Wasserstoff- und Kohlenstoff-Atomen ausgemacht wird. Bitumenmoleküle beinhalten außerdem Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, Spurenmetalle und andere Elemente.

So wie es auch viele verschiedenen Arten von Kohlenwasserstoffen gibt, gibt es auch viele Typen von Öl. Neben anderen Charakteristika weisen verschiedene Ölarten unterschiedliche Mengen an Kohlenstoffatomen auf. Ergas hat normalerweise 1-4 dieser Atome, während Schweröle 50 oder mehr davon besitzen. Verglichen damit sind Bitumenmoleküle monströs - sie umfassen Tausende von Kohlenstoffatomen. Dadurch wird Bitumen zu einem der komplexesten Moleküle, die in der Natur gefunden werden können.

Ein anderes Charakteristikum von Bitumenmolekülen ist das Verhältnis der Wasserstoffmoleküle. Dieses ist verglichen mit Erdgas oder Schweröl kohlenstoffreich und wasserstoffarm. Bitumen ist außerdem höchst zähflüssig - bei Raumtemperatur würde es nicht fließen. Bei 11 °C - der Temperatur in vielen Untergrundlagerstätten - hat es die Konsistenz eines Eishockey-Puck. Um Bitumen zu bewegen, muss es erhitzt oder mit leichten Kohlenwasserstoffen verdünnt werden, um es weniger zäh zu machen.


Rohölerzeugung

Aus den Tar Sands muss ein synthetisches Rohöl geformt werden, um es überhaupt in der konventionellen Ölindustrie weiter verwenden zu können. Dazu wird zuerst das abgebaute Gestein in Crushern zermahlen, dann wird das Bitumen extrahiert und zuletzt zu künstlichem Rohöl upgegradet und synthetisiert. Danach muss es wie natürliches Öl raffiniert werden, um als Treibstoff genutzt werden zu können.

Eine Menge Tar Sands müssen im Bergbau ausgebuddelt werden, um ein Barrel Öl zu produzieren. Abhängig vom Gehalt des Gesteins ändert sich das abzubauende Volumen an Tar Sands - durchschnittlich wird aber davon ausgegangen, dass etwa ein Kubikmeter Tar Sands für 1,25 Barrel Bitumen gebraucht werden. Diese Menge an Bitumen ist nötig, um letztlich ein Barrel synthetischen Rohöls zu ergeben.

Doch vorher muss das Gestein abgebaut und zermahlen werden. Wenn Tar Sands abgebaut werden, liegen oft zunächst große Brocken aus dem Untergrund vor, die zerkleinert werden wollen. In der Vergangenheit, als Schaufelradbagger im Einsatz waren, wurden diese Schollen bereits vom Bagger in kleinere Stücken zerbrochen. Dies war einer der Vorteile dieser alten Technologie. Mit dem Wandel des Tar Sands-Bergbaus von Schaufelradbaggern und kilometerlangen Förderbändern zu Monster-Schaufelbaggern und Monster-Trucks zum Abtransport entstand die Notwendigkeit eines zusätzlichen Verarbeitungsschrittes zur Zerkleinerung der abgebauten Tar Sands-Schollen.

Dies geschieht in sogenannten "Crushern" oder "Sizern", die für die kommerzielle Tar Sands-Produktion brauchbar sind. Hier werden die unhandlichen Brocken für den Transport und Weiterverarbeitung zerkleinert. Diese Crusher müssen relativ nahe an den Bergbaugebieten errichtet werden. Monstertrucks transportieren die herausgelösten Gesteinsbrocken dorthin, wo sie zerkleinert und zermahlen und via Förderbändern zur Weiterbehandlung geschickt werden. Die Entwicklung brauchbarer Crusher war einer der Faktoren, die letztlich zur Ablösung der Schaufelradbagger-Technologie führten.

Nach dem Crushing werden die zermahlenen Tar Sands in Anlagen transportiert, wo heißes Wasser beigefügt und das Material für den sogenannten Hydrotransport via Pipelines vorbereitet wird. Diese Pipelines führen zu den Extraktionsanlagen, wo das Bitumen abgespalten werden soll. In diesem Stadium entstehen die ersten Tailing Ponds mit Abwässern, die verunreinigtes Wasser auffangen sollen.

Wie in so vielen anderen Fällen verdienen deutsche Konzerne kräftig an der Umweltzerstörung in Kanada mit. Bei einer Rundfahrt durch die Industrieanlagen zeugen große Werbeschilder von Firmen wie ThyssenKrupp auf den Einsatz deutscher Technologie hin. Die Tar Sands-Industrie zeigt sich was ihre desaströse Produktion angeht recht ungeniert: Da werden mehrfach wöchentlich Exkursionen für Touristen aus (tatsächlich!) aller Welt angeboten, denen die riesigen Tailing Ponds und die schmutzigen Industrieanlagen per Charterbus gezeigt werden. Beeindruckt wird dann erzählt, dass es doch unglaublich toll ist, dass diese Firmen in der Lage sind, so gewaltige Eingriffe in die Natur vorzunehmen. - Das ist nicht der Wortlaut, aber der Sinn, denn diese Dinge werden gezeigt und ihre Bedeutung teilweise umrissen. Aber im Giganto-Technologie-Wahn, der den Reisebus erfasst, fällt das scheinbar nicht auf...


Fortsetzung folgt! Weiter geht es mit diesem Hintergrundbericht in der nächsten Ausgabe - oder, wer nicht so lange warten will, kann auf der Internetseite des grünen blatts schon weiter lesen.

Dieser Artikel basiert auf Vorort-Recherchen in Alberta, Interviews mit Vertreter*innen von kanadischen Umwelt-NGOs, First Nations, aus Ölindustrie und Politik sowie auf Internet-Recherchen.


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  1. Greenpeace: Ölsand-Abbau zerstört Wald und Klima. Wird Kanadas Natur der Profitgier geopfert?; Schwandorf, November 2009