2014-02:Das Ding am Deich: Unterschied zwischen den Versionen

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'''fb''' "Das Ding am Deich" dokumentiert die Geschichte des Widerstands seit 1973 gegen das Atomkraftwerk (AKW) Brokdorf an der Elbe, nicht weit von Hamburg. Die Filmmacherin Antje Huber lässt Anwohner*innen der Dörfer Wewelsfleth und Brokdorf, die vor Jahrzehnten schon oder noch Widerstand leisteten, von den Protesten und dem Auftreten von Regierung und Polizei erzählen. Zum Drehstart im Januar 2010 zeigten viele der Protagonist*innen ihre Resignation nach Jahrzehnten verzweifelten Widerstands. Es geht um Erkrankungen nach Inbetriebnahme des Reaktors, Zweifel an der Demokratie beim Durchprügeln staatlicher und Konzerninteressen gegen den Willen der Bevölkerung, die Politisierung von teils konservativen und bis dahin nicht aktiven Menschen und viele Eindrücke vom Umgang des Staates mit seinen Bürger*innen. Während des Drehens für den Dokumentarfilm, der erst im Januar 2012 fertiggestellt wurde, explodierte das japanische AKW Fukushima Daiichi.
anwohner, die früher widerstand leisteten, teils konservativ; resignation; erkrankungen; menschenkette april 20ß10; akw brokdorf; brokdorf+wewelsfleth; anfangs: befragung bürgermeister - mehrheit gegen AKW, daraufhin Blumen- und Propaganda-Kampagne der NWK lullte viele der kritischen Anwohner*innen wieder für das Projekt ein; gedreht 2010-2011 (?) - mittendrin explodierte Fukushima; bei nacht und nebel wird sofort am tag der baugenehmigung angefangen, stacheldraht + hunde...; beeindruckende historische filmsequenzen der Baupstellenbesetzung und Polizeigewalt bei anschließender Räumung; zehntausende Demonstrant*innen kommen danach nach Brokdorf; Spaltung der Bevölkerung in Befürworter*innen und Gegner*innen - Nachbarn, die früher in Austausch waren, wenden sich voneinander ab, während Kontakte zu völlig anderen Leuten aufgrund der gemeinsamen Einstellung entstehen; massive Bespitzelung durch Polizei; Morddrohungen faschistische Parolen gegen atomkraftkritische Anwohner*innen; Baustopp gerichtlich verfügt nach Klage von Anwohner*innen und Gemeinden insbesondere wegen ungeklärter Atommüllentsorgung - Schleswig Holsteins Ministerpräsident argumentiert mit Asse und Gorleben; Baustopp schwächte die Bewegung; mit Zuschüssen für Freibad und Straßenbau werden Gemeinden in der Zwischenzeit geködert; Atomgesetz wird geändert, um den geforderten Entsorgungsnachweis zu ermöglichen: Erkundungsbergwerk und Verträge zur Wiederaufbereitung sind genug - Klage wurde letztlich abgewiesen - 6.2.1981 wird Bau wieder aufgenommen; bis heute ist Entsorgung nicht voran gekommen; 1970er-1986 (Oktober 1986 Inbetriebnahme); Polizeistrategie (Vortrag eines Beamten): durch Absperrungen Zufahrt mit PKW unterbinden und durch lange Fußmärsche sollen Ermüdung sowie Abbau der Aggression und Aktionsbereitschaft zu erreichen; 28.2.81: 100.000 Demonstrant*innen trotz Versammlunsgverbot; Polizeigewalt mit SEK, Wasserwerfern, Hubschraubern und Verprügeln von Demonstrant*innen weit ab vom AKW; Juni 1986, kurz nach der Tschernobyl-Katastrophe steht AKW kurz vor Fertigstellung - Proteste am Zaun + Wasserwerfer + Tränengas; Inbetriebnahme paralysierte & vereinzelte örtliche Aktivist*innen stark
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Zunächst wurden die Bürgermeister*innen um ihre Meinung befragt und erteilten mehrheitlich eine Absage an das AKW. Daraufhin startete der Energiekonzern NWK (Nordwestdeutsche Kraftwerke AG) eine Blumen- und Propaganda-Kampagne, mit der viele zuvor ablehnende Anwohner*innen eingelullt und für das Bauvorhaben eingenommen wurden. Es werden beeindruckende historische Filmsequenzen gezeigt, die Baustellenbesetzung und Polizeigewalt bei der anschließenden Räumung dokumentieren. In Folge kommen zehntausende Demonstrant*innen nach Brokdorf, um ihren Widerstand gegen die Atomanlage zu zeigen. Die Atomenergie führt auch zu einer Spaltung der Bevölkerung in Befürworter*innen und Gegner*innen. Nachbarschaftliche Beziehungen werden zerstört, aber es entstehen aufgrund der gemeinsamen Ablehnung des AKW auch neue Kontakte zu Menschen, mit denen die Anwohner*innen sonst nie geredet hätten.
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Wortwörtlich bei Nacht und Nebel, gleich nach der Erteilung der Baugenehmigung kommen am 25. Oktober 1976 LKWs, Hunde und Stacheldraht nach Brokdorf. Noch im Dunkeln wird die Baustelle errichtet. Der Staat startet eine massive Bespitzelung von kritischen Anwohner*innen. Innerhalb der Gemeinde gibt es faschistische Parolen gegen atomkraftkritische Anwohner*innen und sogar einzelne Morddrohungen.
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Die ungeklärte Entsorgung des Atommülls ist von Anfang an ein wesentliches Problem. Sie war auch Hauptgrund für einen 1976 gerichtlich verfügten Baustopp. Doch dieses scheinbare "Einlenken" führte auch zu einer Befriedung, zum Einschlafen der Bewegung gegen das AKW Brokdorf. Asse II und Gorleben werden als Lösung für das Entsorgungsproblem ins Feld geführt. In der Zwischenzeit werden die Gemeinden mit Zuschüssen für Straßenbau und ein Freibad geködert. Schließlich wird das Atomgesetz geändert, um den erforderlichen Entsorgungsnachweis möglich zu machen: der Betrieb eines Erkundungsbergwerks und Verträge mit Wiederaufarbeitungsanlagen sollen genügen. So wird die Klage gegen das AKW letztlich abgewiesen und der Bau am 6. Februar 1981 wieder aufgenommen. Und bis heute, Jahrzehnte später, ist die Entsorgung des Atommülls nicht vorangekommen.
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Ein Polizeibeamter beschreibt in einem Vortrag die Strategie der Einsatzleitung: durch Absperrungen soll die Zufahrt mit PKW unterbunden und lange Fußmärsche der Demonstrant*innen erzwungen werden, um deren "Ermüdung sowie Abbau der Aggression und Aktionsbereitschaft" zu erreichen. Trotz Versammlungsverbot kommen am 28. Februar 1981 in Reaktion auf die Aufhebung des Baustopps 100.000 Demonstrant*innen nach Brokdorf. Der Film dokumentiert eindrucksvoll die Polizeigewalt mit SEK, Wasserwerfern, Hubschraubern und Verprügeln von Menschen weit ab vom AKW. Im Juni 1986, kurz nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl steht das Atomkraftwerk kurz vor der Fertigstellung. Es gibt Proteste am Zaun und in Reaktion Wasserwerfer und Tränengas von der Polizei. Die Inbetriebnahme von Brokdorf im Oktober desselben Jahres paralysiert und vereinzelt die örtlichen Aktivist*innen stark.
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Erst die 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerungen mobilisieren wieder mehr Menschen zu Protesten gegen das AKW; es gibt beispielsweise eine Menschenkette von AKW zu AKW entlang der Elbe. Dann explodieren mehrere Reaktoren in Japan im März 2011 und wecken die Bürger*innen vor Ort wieder auf, denn die Katastrophe macht klar, dass es auch hier jeden Tag zu einem Super-GAU kommen kann. Im Juni 2011 werden die Laufzeitverlängerungen zurückgenommen; 8 Reaktoren waren schon in Reaktion auf den Unfall in Fukushima heruntergefahren; die anderen neun dürfen noch bis zu 2022 ein Katastrophenrisiko bleiben. Hier endet der Film mit dem Gefühl, die Menschen vor Ort werden nicht mehr hinnehmen, dass sie noch weitere zehn Jahre mit dem drohenden Super-GAU nebenan leben sollen.
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* Antje Hubert: ''Das Ding am Deich. Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk''
 
* Antje Hubert: ''Das Ding am Deich. Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk''

Aktuelle Version vom 27. Mai 2014, 00:03 Uhr

Antje Hubert:

Das Ding am Deich

fb "Das Ding am Deich" dokumentiert die Geschichte des Widerstands seit 1973 gegen das Atomkraftwerk (AKW) Brokdorf an der Elbe, nicht weit von Hamburg. Die Filmmacherin Antje Huber lässt Anwohner*innen der Dörfer Wewelsfleth und Brokdorf, die vor Jahrzehnten schon oder noch Widerstand leisteten, von den Protesten und dem Auftreten von Regierung und Polizei erzählen. Zum Drehstart im Januar 2010 zeigten viele der Protagonist*innen ihre Resignation nach Jahrzehnten verzweifelten Widerstands. Es geht um Erkrankungen nach Inbetriebnahme des Reaktors, Zweifel an der Demokratie beim Durchprügeln staatlicher und Konzerninteressen gegen den Willen der Bevölkerung, die Politisierung von teils konservativen und bis dahin nicht aktiven Menschen und viele Eindrücke vom Umgang des Staates mit seinen Bürger*innen. Während des Drehens für den Dokumentarfilm, der erst im Januar 2012 fertiggestellt wurde, explodierte das japanische AKW Fukushima Daiichi.

Zunächst wurden die Bürgermeister*innen um ihre Meinung befragt und erteilten mehrheitlich eine Absage an das AKW. Daraufhin startete der Energiekonzern NWK (Nordwestdeutsche Kraftwerke AG) eine Blumen- und Propaganda-Kampagne, mit der viele zuvor ablehnende Anwohner*innen eingelullt und für das Bauvorhaben eingenommen wurden. Es werden beeindruckende historische Filmsequenzen gezeigt, die Baustellenbesetzung und Polizeigewalt bei der anschließenden Räumung dokumentieren. In Folge kommen zehntausende Demonstrant*innen nach Brokdorf, um ihren Widerstand gegen die Atomanlage zu zeigen. Die Atomenergie führt auch zu einer Spaltung der Bevölkerung in Befürworter*innen und Gegner*innen. Nachbarschaftliche Beziehungen werden zerstört, aber es entstehen aufgrund der gemeinsamen Ablehnung des AKW auch neue Kontakte zu Menschen, mit denen die Anwohner*innen sonst nie geredet hätten.

Wortwörtlich bei Nacht und Nebel, gleich nach der Erteilung der Baugenehmigung kommen am 25. Oktober 1976 LKWs, Hunde und Stacheldraht nach Brokdorf. Noch im Dunkeln wird die Baustelle errichtet. Der Staat startet eine massive Bespitzelung von kritischen Anwohner*innen. Innerhalb der Gemeinde gibt es faschistische Parolen gegen atomkraftkritische Anwohner*innen und sogar einzelne Morddrohungen.

Die ungeklärte Entsorgung des Atommülls ist von Anfang an ein wesentliches Problem. Sie war auch Hauptgrund für einen 1976 gerichtlich verfügten Baustopp. Doch dieses scheinbare "Einlenken" führte auch zu einer Befriedung, zum Einschlafen der Bewegung gegen das AKW Brokdorf. Asse II und Gorleben werden als Lösung für das Entsorgungsproblem ins Feld geführt. In der Zwischenzeit werden die Gemeinden mit Zuschüssen für Straßenbau und ein Freibad geködert. Schließlich wird das Atomgesetz geändert, um den erforderlichen Entsorgungsnachweis möglich zu machen: der Betrieb eines Erkundungsbergwerks und Verträge mit Wiederaufarbeitungsanlagen sollen genügen. So wird die Klage gegen das AKW letztlich abgewiesen und der Bau am 6. Februar 1981 wieder aufgenommen. Und bis heute, Jahrzehnte später, ist die Entsorgung des Atommülls nicht vorangekommen.

Ein Polizeibeamter beschreibt in einem Vortrag die Strategie der Einsatzleitung: durch Absperrungen soll die Zufahrt mit PKW unterbunden und lange Fußmärsche der Demonstrant*innen erzwungen werden, um deren "Ermüdung sowie Abbau der Aggression und Aktionsbereitschaft" zu erreichen. Trotz Versammlungsverbot kommen am 28. Februar 1981 in Reaktion auf die Aufhebung des Baustopps 100.000 Demonstrant*innen nach Brokdorf. Der Film dokumentiert eindrucksvoll die Polizeigewalt mit SEK, Wasserwerfern, Hubschraubern und Verprügeln von Menschen weit ab vom AKW. Im Juni 1986, kurz nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl steht das Atomkraftwerk kurz vor der Fertigstellung. Es gibt Proteste am Zaun und in Reaktion Wasserwerfer und Tränengas von der Polizei. Die Inbetriebnahme von Brokdorf im Oktober desselben Jahres paralysiert und vereinzelt die örtlichen Aktivist*innen stark.

Erst die 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerungen mobilisieren wieder mehr Menschen zu Protesten gegen das AKW; es gibt beispielsweise eine Menschenkette von AKW zu AKW entlang der Elbe. Dann explodieren mehrere Reaktoren in Japan im März 2011 und wecken die Bürger*innen vor Ort wieder auf, denn die Katastrophe macht klar, dass es auch hier jeden Tag zu einem Super-GAU kommen kann. Im Juni 2011 werden die Laufzeitverlängerungen zurückgenommen; 8 Reaktoren waren schon in Reaktion auf den Unfall in Fukushima heruntergefahren; die anderen neun dürfen noch bis zu 2022 ein Katastrophenrisiko bleiben. Hier endet der Film mit dem Gefühl, die Menschen vor Ort werden nicht mehr hinnehmen, dass sie noch weitere zehn Jahre mit dem drohenden Super-GAU nebenan leben sollen.


  • Antje Hubert: Das Ding am Deich. Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk
  • DVD; ca. 96 Minuten; 15 €
  • die thede, Hamburg 2012