2014-02:Ein neuer Lieblingsfeind für die Klimabewegung

Aus grünes blatt
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Ein neuer Lieblingsfeind für die Klimabewegung

Ein paar Gedanken zum Einfluss des Militärapparates auf den Klimawandel

- Von der AG Krieg Macht Klima

When we declare war on a foreign nation, we now also declare war on the Earth.
Barry Sanders

An einem heißen Julitag im Jahr 2013 erreichen etwa 15 müde Radfahrer*innen das ‚War Starts Here Camp’ bei Letzlingen, ein Aktions- und Diskussionscamp, das sich gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Altmark richtet. Sie sind in den letzten Wochen den ganzen Weg vom Klimacamp in der Lausitz geradelt und haben noch einige hundert Kilometer vor sich bis zum Klimacamp im Rheinland. Sie gehören zur Reclaim Power Tour, die quer durch Deutschland energiepolitisch umstrittene Orte besucht und mit ihren Rädern einen Roten Faden zwischen den aktiven Gruppen zieht: zwischen Anti-Atom-Gruppen, Bürger_innen-Initiativen gegen CCS, Windenenergie-Genossenschaften oder Klimacamps in den Braunkohleabbaugebieten in Ost und West. Aber was macht denn die Energie-Fahrradkarawane auf einem Anti-Militarismus-Camp?

An einem Diskussionsabend auf dem Camp kristallisierten sich die Überschneidungspunkte zwischen den Themenfeldern Militarismus, Energie und Klima deutlich heraus. Offensichtlich ist, dass Staaten Kriege führen, um den Zugang zu Rohstoffen zu sichern, die unerlässlich sind, um den Fortbestand und Vormachtstellung ihrer Wirtschaft sowie ihres Militärapparates zu sichern. Dabei geht es nicht nur um Ressourcen, die für die Energiegewinnung notwendig sind (wie Öl und Uran), sondern auch um strategische Metalle (z.B. Kobalt, Kupfer). Im Zuge des Klimawandels werden sich kriegerische Konflikte um Rohstoffe noch verschärfen, und es ist damit zu rechnen, dass es dabei in der Zukunft verstärkt um die knapper werdenden ‚lebenden’ Ressourcen wie Wasser oder Fischbestände gehen wird. Das Pentagon erklärte „schon“ 2003 den Klimawandel zum Sicherheitsrisiko und warnte vor Umweltkatastrophen, Hungerrevolten, Bürgerkriegen und Millionen von Flüchtlingen. Was allerdings nicht zu den Konsequenzen geführt, die sich unsereins vielleicht wünschen würde: Es wird weiter aufgerüstet, um im prognostizierten Chaos die Oberhand bewahren zu können, und Grenzen werden militärisch abgeschottet. Dieser Zusammenhang ist bereits ganz gut dokumentiert.

Wir gehen jedoch auf dem Eis von dünnen Fakten, wenn wir überlegen: was trägt das Militär zum Klimawandel bei? Wie viel Treibstoff verbraucht eigentlich die Bundeswehr, wie viel Energie geht in die Rüstungsindustrie? Was ist die CO2-Bilanz eines Krieges? Diese Fragen werden relativ selten gestellt. Das letzte wissenschaftliche Papier, das sich mit der Klimawirksamkeit der Bundeswehr beschäftigt, ist vom Jahr 1991. Im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage beauftragten damals die GRÜNEN die Forschungsstelle „Militär, Ökologie und Planung“ (MÖP) e.V., eine Studie zum Thema „Militär und Klima“ zu erstellen. Danach hat diese Fragestellung anscheinend niemanden mehr interessiert. Warum nicht? Möglicherweise, weil es ohnehin schon so viele Gründe gibt, gegen den Militärapparat zu sein? Müssen wir also diesen Zusammenhang überhaupt untersuchen und was bringt uns das?

Die Reclaim Power Tour hat auf ihrer Vernetzungsreise das Konzept von einer ‚echten’ umfassenden Energiewende vermittelt. Danach gehören zu einer konsequenten Energiewende nicht nur technologische Änderungen, sondern unbedingt ein gesellschaftlicher Wandel, der an Machtstrukturen rüttelt und Verteilungsfragen stellt. Und für den nicht nur problematisiert werden muss, wo unsere Energie herkommt. Sondern auch, wofür sie verwendet und verschwendet wird. Ob sie der Sicherung von Grundbedürfnissen der Allgemeinheit dient oder dem Profit Weniger.

Das GÜZ in der Letzlinger Heide kann diesem Konzept nach gut wegrationalisiert werden. Ein Vorteil für das Allgemeinwohl ist hier nicht erkennbar. Es gilt als eine der modernsten militärischen Trainingsanlagen weltweit. Hier werden Soldat*innen der Bundeswehr und anderer NATO-Armeen in simulierten Gefechten auf ihre Auslandseinsätze vorbereitet. Zur Zeit wird außerdem eine Übungsstadt nach dem Vorbild einer europäischen Metropole errichtet, damit die Bundeswehr ihre urbanen Gefechtstechniken perfektionieren kann. Für rund 100 Millionen Euro – und mit Tonnen von Stahl und anderen Rohstoffen - entsteht hier eine komplette Großstadt samt Regierungsbezirk, Altstadt, Elendsviertel, Flughafen und U-Bahn mit dem Namen „Schnöggersburg“. Absurderweise mitten in der strukturschwachen „Steppe Sachsen-Anhalts“, wo die Menschen um das letzte Freibad in der Region kämpfen, das geschlossen werden soll. Tausende von Menschen protestieren gegen das Megaprojekt Stuttgart 21 – dass in Letzlingen mitten in der Pampa U-Bahnen gebaut werden, in denen nie jemand fahren wird, bekommt kaum jemand mit.

Der größte Einzelverbraucher von Öl in der Welt ist das Pentagon. Der US-amerikanische Militärapparat mit all seinen Kampfjets, Panzern und anderen Fahrzeugen hat im Jahr 2006 etwa 48.000.000 Liter Treibstoff pro Tag verbraucht. Sein Stromverbrauch des gleichen Jahres entsprach dem von 2,6 Millionen amerikanischen Haushalten. Barry Sanders hat in seinem Buch Green Zone. The Enviromental Cost of Militarism den jährlichen CO2-Ausstoß des US-Militärs auf 73 Millionen Tonnen geschätzt – die, wohlgemerkt, zu den offiziellen Zahlen des Treibhausgasausstoßes der USA noch dazukommen, da die Emissionen des Militärs nicht berichtspflichtig sind. Allerdings kam Michael Renner schon 1991 zu einem ganz anderen Ergebnis: er ging von 150 Millionen Tonnen CO2 aus – und sogar doppelt soviel, wenn man die Rüstungsindustrie miteinbezöge. So oder so: kein Thema für die Klimakonferenzen.

Für die Bundeswehr sieht die Datenlage besonders mau aus. Nach den Berechnungen der oben erwähnten Studie von 1991 belaufen sich die CO₂-Emissionen des bundesdeutschen Militärapparates auf 39,4 Millionen Tonnen pro Jahr (ohne Rüstungsproduktion). Falls in den letzten 23 Jahren noch einmal wissenschaftlich zu dem Thema gearbeitet wurde, haben die Autor*innen ihre Ergebnisse gut versteckt. Jede Privatperson kann mittlerweile ihren CO2-Fußabdruck im Internet ermitteln. Doch Rheinmetall, der 10. größte Rüstungskonzern Europas, weiß nicht, wie viel Kohlendioxid er emittiert. Ihnen liegen „keine Daten“ darüber vor, gibt der Vorstand des Konzerns auf der Jahreshauptversammlung im Mai 2014 zur Auskunft. Die Zahlengrundlage ist also unbefriedigend. Sie reicht aber aus, um die Absurdität eines Systems zu verstehen, das mit einem gigantischen Ressourcenverbrauch einen Apparat betreibt, dessen Aufgabe es ist, Ressourcen zu sichern. Der dadurch immer mehr zerstört, was angeblich verteidigt werden soll: unsere Sicherheit.

Und doch bleibt es in der Energiedebatte merkwürdig still um den militärischen Produktionsbereich. Infolge der Diskussion, die durch den Besuch der Reclaim Power Tour auf dem War Starts Here Camp entstanden ist, fanden sich Menschen aus der Anti-Kohle- und Antimilitarismus-Bewegung zusammen, die das ändern wollen. Die - bis jetzt sehr lose organisierte - Arbeitsgruppe „Krieg Macht Klima“ will den Zusammenhang zwischen Militär und Klimawandel näher beleuchten. Gleich vorweg: das Ziel der Arbeitsgruppe wird es niemals sein, eine CO2-neutrale Rüstungsproduktion zu fordern oder etwa das ökologisch korrekte Abschlachten von Menschen. Es geht nicht um eine Grünfärbung des Militärbereichs, sondern darum, ihn abzuschaffen. Es ist das Anliegen der AG, verschiedene Stränge von sozialen Bewegungen zusammenzuführen, damit sie sich gegenseitig ergänzen und stärken. Sie will das Thema Abrüstung (oder eher: „Abschalten!“) in den Postwachstumsdiskurs einbringen und ökologische Argumente in die Debatten der Antimilitarismus- und Friedensbewegung hineintragen. Sie möchte herausfinden, wie viel Energie die Produktion einer Rakete braucht und wie lange wir mit dieser Energie heiß duschen könnten. Wenn es am Öko-Stammtisch darum geht, ob das Auto nun 4 Liter auf 100 km verbraucht oder 10 Liter, wird die AG darin erinnern: ein M1-Panzer verbraucht etwa 4700 Liter auf 100 km. Sie will untersuchen, welche Herrschaftsstrukturen den Kreislauf der Ausbeutung von Mensch und Natur am Laufen halten, und wie sie wir sie überwinden können. Und sie wird subversive Stromspartipps verbreiten: blockiere jeden Morgen mit deinen Freund*innen eine Rüstungsfabrik eurer Wahl.

Das nur ein paar Ideen: die Gruppe steht ganz am Anfang, es gibt viel zu tun. In diesem Sommer wird es Workshops von „Krieg Macht Klima“ auf dem Klimacamp im Rheinland (26.7. – 3.8.) geben, auf dem War Starts Here Camp (17.-25. 8.) und auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig (2.9.-6.9. 2014) geben. Wir würden uns freuen, bei der Gelegenheit interessierte Menschen kennenzulernen, mit euch zu diskutieren, von euch zu lernen, mit euch zusammenzuarbeiten!

Kontakt: kriegmachtklima ÄTT riseup.net[1]



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