2015-01:Wettbewerb: Wo enden die Fäden?

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Wettbewerb: Wo enden die Fäden?

jb Wer sind die Strippenzieher der Welt? Wie in einem Wettbewerb konkurrieren seit Jahrzehnten vereinfachte Welterklärungen um Leichtgläubige. Einige seien hier präsentiert. Wer dichtet neue hinzu? Frauen scheinen, gäbe es Wettbewerbsbedingungen, nicht benannt werden zu dürfen. Jedenfalls gibt es bislang keine Versionen, bei denen Frauen die erste Geige spielen. Daher kann in diesem Text auf das „_innen“ bei den Strippenziehern verzichtet werden.

Die Gedankengänge von Weltvereinfacher_innen und „Verschwörungstheoretiker_innen“ enden immer wieder in einem Weltbild, in dem ein Zentrum alles lenkt. Eine solche Reduzierung komplexer Herrschaftssysteme auf einzelne Strippenzieher hat in der Geschichte der Menschheit schon viel Schaden verursacht - allen voran der Antisemitismus mit seiner Extremform, den Vernichtungsphantasien. Millionen Menschen vor allem jüdischen Glaubens wurden in der praktischen Umsetzung, dem Holocaust, ermordet.
Die Absage an eine zentrale Steuerbarkeit der Welt bedeutet nicht, dass alle Menschen gleichberechtigt sind. Ob wirtschaftliche Macht, Einfluss auf Regierungshandeln oder die Steuerung von Diskursen - manche Menschen haben mehr Einfluss, andere weniger oder gar keinen. Doch die privilegierten Sphären sind nicht an feste Personen gebunden, sondern eher undurchschaubare Netze. In sie kann jedermensch hineinkommen, wenn auch nicht gleich einfach. Voraussetzung ist, die Verhaltensregeln und Codes zu akzeptieren und selbst anzuwenden, die die Funktionseliten zusammenhalten und zum dominierenden Netz der Vielen machen.


Der Klassiker: „Die“ Juden

Immer wieder: Mensch spricht über irgendein Thema, kritische Worte zu offiziellen Politiken fallen - und plötzlich streut irgendjemand irgendetwas ein, das mit Israel zu tun hat. Oft passt der Hinweis gar nicht, aber es passiert trotzdem. Sei es der staatliche Geheimdienst Mossad (eine perfekte Figur für „Verschwörungstheorien“), Waffenlieferungen von Deutschland an den kleinen, aber hochgerüsteten Mittelmeerstaat oder die Besatzungspolitik auf palästinensischen Autonomiegebieten - irgendwie findet sich immer eine Verknüpfung ins laufende Gespräch. Das gilt ähnlich für Verweise auf die Religionszugehörigkeit von Firmenchefs, Spitzenpolitiker_innen oder anderen gesellschaftlichen Eliten. Sind sie christlich - egal. Erwähnt niemand. Hängen sie dem Islam an, wird das inzwischen häufiger erwähnt - am meisten von Seiten der Regierenden oder staatstragender Medien, wenn es aus deren Sicht etwas vermeintlich Schlimmes zu berichten gibt. Wenn aber auch nur der leiseste (oft schlicht falsche) Verdacht besteht, Führungspersonen seien jüdischen Glaubens, so wird das mit einer Selbstverständlichkeit erwähnt, als sei es völlig üblich, die religiöse Orientierung wie sonst nur z.B. die Parteizugehörigkeit oder Nationalität mit zu nennen.

Es ist klar:

  • Israel ist ein kapitalistischer und Rechtsstaat, also in einer Art und Weise autoritär und menschenfeindlich organisiert, wie das für alle solchen Staaten mehr oder weniger der Fall ist. Die sich selbst antreibende Hatz nach mehr Profitabilität und Kontrolle schafft Konkurrenz nach außen und soziales Gefälle nach innen - in Israel wie überall.
  • Israel ist hochgerüstet, was soziale Verhältnisse verschlechtert, Machtgefälle steigert und aus vielen Gründen immer antiemanzipatorisch ist, aber angesichts der Umzingelung (ursprünglich rundherum) durch Staaten, die Israel vernichten wollten und wollen, mehr verständlich ist als bei vielen anderen Ländern (z.B. Deutschland).
  • Die Gründung des Staates Israel hat zu Konflikten und Verdrängung von Menschen geführt. Die Sicherung der vom eliminatorischen Antisemitismus verfolgten jüdischen Bevölkerung wurde auf dem Rücken vieler an Holocaust und weiterer Verfolgung Unbeteiligter ausgetragen. Es wäre „gerechter“ gewesen, Teile der Holocaust-Täternation Deutschland zu räumen, um den Staat Israel dort zu errichten. Doch es ist anderswo geschehen und damit zum Nachteil Anderer. Für Deutsche ist es deshalb angemessen, als Profiteure dieser Verlagerung sehr vorsichtig mit der Kritik an der vor Jahrzehnten entstandenen Lage zu sein.
  • Da Israel ein auf Gewaltmonopol, Kapitalismus und Machtsicherung aufgebautes System ist (wie alle Industriestaaten und die meisten anderen Staaten auch), reagiert es auf Störungen, Bedrohungen und Instabilität autoritär.

Aus all dem folgt nur, dass Israel ein durch und durch normaler Staat ist, der wegen der außergewöhnlichen, außenpolitischen Bedrohungslage einem besonders ausgeprägten Militarismus frönt. Militär und strategische Überlegungen prägen das politische Geschehen im Land mehr als in irgendeinem mitteleuropäischen Land, welches von jeder Bedrohungslage Tausende von Kilometern entfernt liegt. Eine besondere Schuldzuweisung an Israel für auch in anderen Ländern übliche Politiken ist daher verfehlt. Völlig unsinnig ist, statt Israel „die Juden“ als Adressat von Schuldzuweisungen zu nennen. Denn diese sind eine über viele Teile der Welt verstreute sowie intern vielfältige bis zerstrittene Menge an Menschen, die völlig ungeeignet ist, als Gesamtes mit Eigenschaften versehen oder für Handlungen haftbar gemacht zu werden.


Die Illuminaten von heute

Die größte Vereinfachung der Erklärung aller Weltabläufe lautet noch anders: Kleine, am besten geheime Runden beherrschen alles. Waren es frühe sog. Illuminaten oder andere dubiose Kreise, so sollen heute zwei Familiendynastien die Welt regieren: Rothschild und Rockefeller. Sie sind gut ausgesucht, denn Antiamerikanismus und Darf-man-ja-heute-nicht-mehr-sagen-Antisemitismus feiern hier ihre fröhliche Zuspitzung bzw. Wiederauferstehung. Dabei soll nicht bestritten werden, dass diese und andere Clans mit ihren Patriarchen keine Wohltätigkeitsunternehmen sind. In der Sicht der „Verschwörungstheoretiker_innen“ aber sind sie mehr als gut organisierte, rücksichtslose Abzocker im kapitalistischen Konkurrenzkampf mit langer Tradition. Es würde „eine Handvoll Schurken das Schicksal von Milliarden Menschen diktieren“ (besser leben 27/2011 = Seite der Kent-Depesche). Sie hätten überall ihre Finger drin und würden sich auf geheimen Treffen die Welt aufteilen. „Ohne die Rockefellers gäbe es heute keine Gentechnik“ (Quelle: wie oben). Doch solch Analysen der Herrschaftsstrukturen vereinfachen auf extreme Weise die tatsächlich sehr komplexen Verhältnisse.

  • 7 Milliarden Menschen lassen sich nicht von einer Stelle steuern. Das geht schon logistisch nicht. Außerdem sind die Sphären der Macht deutlich von Konkurrenzen durchzogen, z.B. USA gegen Europa oder wahlweise gegen China, BASF gegen Monsanto, Airbus/EADS gegen Boing, Microsoft gegen Google, Papst gegen Ajatollahs, Arm gegen Reich, Links gegen Rechts, Punk gegen Schlager, Linux gegen Windows, BMW schluckt Rolls Royce usw.
  • Moderne Herrschaftseliten arbeiten nach ganz anderen Prinzipien. Es sind Funktions- und Deutungseliten, die kein Zentrum haben, sondern gleiche Interessen bei gleichzeitigen Konkurrenzen. „Eine Hand wäscht die andere“ ist ein durchgängiges Prinzip, so dass platte Korruption, Bestechung oder Erpressung, wie sie die Film- und Medienwelt zu Unterhaltungszwecken auf die Leinwände oder Transparency international in empörende Ranglisten bringen, eher die Ausnahme, weil überflüssig sind.
  • Herrschaft organisiert sich immer stärker diskursiv, d.h. die Elite-Netzwerke und Seilschaften steuern öffentliche Meinung, Bewusstsein und Traditionen/Geschichtsschreibung. Posten und Ämter verschmelzen mit anderen Handlungsprivilegien.

Abgeschwächte Formen des Glaubens an die großen Strippenzieher der Welt benennen nicht einzelne Personen oder Familien, sondern dubiose Netzwerke, die es überwiegend auch tatsächlich gibt, deren Einfluss aber überschätzt und deren interne Konkurrenzen unterschätzt werden. Die Ranglisten solcher Kreise führten früher Illuminaten oder Freimaurer an, heute sind es z.B. die „Bilderberger“ - eine jährliche Zusammenkunft, benannt nach einem Hotel, in dem die Treffen zu Beginn stattfanden. Keine Frage: Solche Treffen führen einen illustren Haufen exponierter Persönlichkeiten zusammen, die zu den Funktionseliten der Welt gehören. Mit emanzipatorischer Brille lässt sich an kaum einer Biografie der dort Versammelten ein gutes Haar finden. Ebenfalls besteht keine Frage, dass viele der Teilnehmenden davon träumen und darüber reden, mehr Macht zu besitzen, mehr Profit machen zu können, größere Teile der Welt zu unterwerfen. Dennoch lässt sich gut zeigen, was für die meisten Konzerne und Institutionen gilt: Es sind abstrakte Gebilde, in denen die konkreten Personen wechseln. Der Kreis der Bilderberger wandelt sich von Jahr zu Jahr. Sie setzen nicht nur Impulse für das Weltgeschehen, sondern reagieren auf Abläufe, die außerhalb ihrer Einflusssphären entstehen. Das haben sie gemeinsam mit einer Vielzahl weiterer Treffen solcher Art. Ob G8-Gipfel, WTO oder NATO-Sicherheitskonferenz, UNO-Vollversammlung oder Sicherheitsrat, Mont Pelerin Society oder Bertelsmann-Stiftung - sie und viele andere sind Zusammenkünfte von Menschen, hinter denen Kräfte mit Hegemonialinteressen stehen. Die meisten von ihnen würden gern die Welt beherrschen. Aber mehr als eine Annäherung daran und das Erkämpfen von Privilegien gelingt ihnen nicht.
Kein konkreter Ort auf dieser Welt ist das Zentrum aller Macht. Viele sind komplett von konkreten Personen entkoppelt. Kaum ein Konzern ist heute noch ein Familienunternehmen. Es sind juristische Personen, die ihr eigener Zweck sind. Die AG, GmbH oder Genossenschaft selbst soll wachsen, größer und mächtiger werden - nicht die Menschen in ihnen, nicht die Manager_innen und schon gar nicht die Arbeiter_innen. Das lebende Beiwerk ist austauschbar und ausbeutbar zu Gunsten des abstrakten Ganzen. Kapital und Wirtschaft kennen keine Fürsten, sie sind selbst Antrieb und Zweck des Geschehens. Alle Menschen sind letztlich ihre Sklaven, wenn auch mit deutlichen Unterschieden im sozialen Status innerhalb der Sklaverei und auf dem Konto. Weit verbreitet ist, „die“ Amis als Quelle des Bösen zu adressieren (s.S.10).


Der Geheimfavorit: „Die“ Jesuiten

Noch wenig bekannt, aber durchaus schon mit einiger Tradition ist ein weiterer Vorschlag. Er steht im aktuell vom amadeus-Verlag (Jan van Helsing und Umfeld) gehypten Buch „Wenn die Deutschen das wüssten ...“ von Daniel Prinz (S. 190f): „Die Jesuiten haben die Welt wie ein Virus infiltriert. So finden sie sich in verschiedenen Organisationen wieder, wie z.B. der NATO, der Europäischen Kommission, in hohen Regierungsämtern weltweit, in „Think Tanks“ wie dem Council on Foreign Relations, den Bilderbergern oder der Trilateralen Kommission, an der Spitze von Zentralbanken und Großbanken, Geheimdiensten usw. ... Laut Hudes unterstehen sämtliche Geheimdienste der Welt den Jesuiten, die wiederum ihren eigenen obersten Geheimdienst im Vatikan unterhalten. jetzt macht es natürlich umso mehr Sinn, warum der oberste Führer der Jesuiten ein General ist. Generäle gibt es sonst nur beim Militär.“ Zu dem Buch ist ohnehin zu sagen, dass es eine lohnenswerte Lektüre für alle ist, die sich einen Überblick über vereinfachte Welterklärungen einschließlich gedanklicher Vermischungen mit verwandten Denkrichtungen, z.B. Esoterik und Religion, verschaffen wollen. Es ist mit sehr heißer Nadel gestrickt, wirkt schnell runtergeschrieben und dürfte durch das bejubelnde Vorwort von Jan van Helsing in der Szene geadelt werden.


Das Attraktive am Modell der Fäden: Ohnmacht und gutes Gefühl

Wer personalisierte Feindbilder kreiert, teilt in Gut und Böse. Als Trick hilft dabei, über die Definition des Anderen/Fremden als „Böse“ den eigenen Standpunkt auf der Seite des „Guten“ zu lokalisieren. Das verschafft ein gutes Gefühl, nicht Teil der Ursache zu sein dessen, was mensch als schlimm wahrnimmt - von Umweltzerstörung bis zu Armut und Zerstörung. In so etwas suhlte sich der Ex-Kommunist und heutige rechtspopulistische Compact-Chef Jürgen Elsässer im Interview auf der 10. AZK 2014: „Ich tue das, was mir möglich ist, um die Welt zu einer Besseren zu machen und lasse mich nicht zum Objekt degradieren von den bösen Mächten.“
Noch schlimmer kommt es, wenn neben der Autosuggestion, zur guten Seite zu gehören, noch das Gefühl unverschuldeter Ohnmacht kommt. Dann heißt es: Genießen, gut zu sein. Empören über das Böse irgendwo anders. Abwarten und Tee trinken.