2015-01:Was ist eigentlich Antiamerikanismus?

Aus grünes blatt
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Was ist eigentlich Antiamerikanismus?

Antiamerikanismus ist ebenso ein altbekanntes, wie umstrittenes Phänomen. Antiamerikanismus kann man grob unterteilen in einen völkisch-nationalen und einen der sich aus verkürzter bzw. regressiver Kapitalismuskritik speist. Beide sind nicht scharf von einander zu trennen.

Es ist antiamerikanisch und ressentimenthaft, wenn die eigene nationale Gemeinschaft hoch gelobt und mobilisiert wird und der Feind als ein äußerer in Form der USA bestimmt wird. Die USA wird als eine kapitalistische Nation wahrgenommen, in der das Böse und Schlechte inkarniert sei, wovon die eigene ausgenommen sein soll. Die eigene ist vielmehr gut, natürlich und ursprünglich. Mit Verweis auf Bodenhaftigkeit und Tradition der eigenen wird auf die „Künstlichkeit“ der USA verwiesen[1].

Dass antiamerikanische Ressentiment äußert sich auch darin, dass nur der US-Kapitalismus kritisiert wird oder die USA als Verkörperung des Kapitalismus überhaupt gilt, während der eigene nationale „rheinische“ Kapitalismus damit angeblich nichts zu tun hat. Der Kapitalismus mit seinen Verwerfungen wird exterritorialisiert und auf die USA projiziert.

Nehmen Proteste gegen Sozialabbau beispielsweise die Form von Antiamerikanismus an und ist die Rede von einer drohenden „Amerikanisierung der Verhältnisse“ (wobei hoffentlich auch die Rede davon ist was die amerikanischen Verhältnisse nun tatsächlich sind), dann „impliziert „ [der Antiamerikanismus] auch die Anklage gegen eine Gesellschaft, die hinter den menschlichen Möglichkeiten zurückbleibt“[2]. Allerdings ist bei solchen Protesten oft festgestellt worden, dass Ressentiment und Projektion gegenüber der tatsächlichen Sozialkritik zurückbleibt oder wie einem es noch geläufig ist aus der sozialdemokratischen „Heuschreckendebatte“, gänzlich unterbleibt.


Im letzteren Fall dient diese regressive Form der Kapitalismuskritik nur der Legitimation der eigenen Nationalökonomie und hat mit Kapitalismuskritik nichts zu tun. Vielmehr ist es eine Form von Standortkonkurrenz und ideologischer Abwehr, wenn man durch Antiamerikanismus etwas vorgibt zu sein, dass man in Wirklichkeit nicht ist. Man selbst ist Fleisch vom Fleische des „Raubtierkapitalismus“ und ist selbst dabei (oder hat es längst getan) einen eher regulierten, sozial abgefederten Kapitalismus, abzuschaffen. Folglich ist Kritik gar nicht das Ziel.

Der Antiamerikanismus verschärft sich, wenn dieser als Bestandteil des Antisemitismus auftritt: dass nämlich die USA und damit der Rest der Welt vom „Finanzjudentum“ der Wall-Street“ beherrscht wird, dass also das Kapitalverhältnis in den Juden personifiziert und die USA als eine ihrer ausführenden Agenturen angesehen werden.

Im Antiamerikanismus wird daher bestenfalls eine Version des Kapitalismus gegen die andere ausspielt womöglich unter Appell an ein völkisches Kollektiv; schlimmstenfalls ist er Bestandteil antisemitischen Wahns. Insofern ist Antiamerikanismus als gefährliche Ideologie unbedingt ernst zu nehmen!

Allerdings sollte man Kritik, Ressentiments oder in Kritik verpackte Ressentiments gegen die USA in ihrem jeweiligen historischen Entstehungskontext betrachten, da ein Antiamerikanismus in Vietnam beispielsweise nicht einfach gleichzusetzen ist mit einem aus Deutschland nach 1945.

Nur ein Beispiel zur Verdeutlichung: Bekanntlich ist die USA eine imperiale Macht, Weltmacht und Weltpolizist, die gerade in ihrem „Hinterhof“ Lateinamerika stets ihre Kapitalinteressen zu wahren versucht(e)und niemals irgendwelche Skrupel besaß über Leichen zu gehen, Regierungen zu stürzen und faschistische Erfüllungsgehilfen an die Macht zu hieven.

Wenn daraus ein Hass gegen die USA und ihre Politik entsteht, ist es insofern nachvollziehbar, da mit ihr hier nichts Positives verbunden werden kann. Man muss dabei nicht alle ideologischen Verlaufsformen einer „USA-Kritik“ befürworten oder „Verständnis“ für alles haben. Der Punkt ist, dass in diesem Fall „Antiamerikanismus“ nicht einem Wahn schlechthin entspringt, sondern durchaus realen Unterdrückungsverhältnissen. In diesem Fall den Leuten vorzuwerfen, sie seien "antiamerikanisch", weil sie antimodern und reaktionär sind, ist blanker Hohn, zumal hier das bürgerliche Glückversprechen, „the pursuit of happyness“, nur als bloße Propaganda erscheint, gerade wenn diese durch entsprechende Kugeln in die Köpfe gelangen soll.

Das heißt aber wiederum nicht (!), dass sich Kritiken, die der oftmals verhängnisvollen US-Politik realen Unterdrückungsverhältnissen oder Folgen des US-Imperialismus entspringen, nicht zu einem antiamerikanischen Ressentiment verdichten und obendrein mit antisemitischen Wahn o.ä. vermengen können (man denke z.B. an die Kumpaneien von Hugo Chavez mit Ahmadinejad[3]). Die Vermengung von Ressentiment und Kritik läßt sich bei bestimmten Formen des Antiimperialismus beobachten – es ist hier nicht immer ganz einfach festzustellen wo Kritik aufhört und wo Ressentiment anfängt. Dem kann nur abhelfen eine konkrete Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenstand!

Zwischen Antiamerikanismus, wenn man darunter etwa Hass auf die US-Politik ansieht, und Antisemitismus besteht demnach ein prinzipieller Unterschied. Während im Antisemitismus die wahnhafte Personifizierung und Biologisierung des Kapitalismus besteht, kann Antiamerikanismus der realen verhängnisvollen Politik der USA entspringen und ist daher keineswegs eine wahnhafte Reaktion auf das „Unbehagen in der Moderne“[4].

Die andere Seite besteht darin Kritik an den USA, an ihrer Politik, an NSA, US-Konzernen (wie z.B. Monsanto) und an diversen Freihandelsverträgen schlechthin als solche als antimodern, antiamerikanisch zu brandmarken, womöglich noch als Ausfluss deutscher Ideologie[5]. Man denke z.B. an das (ex)antideutsche Blatt „Bahamas“, die, wie nach dem 11.9.2001 deutlich wurde, sich der USA an den Hals werfen und jeden Bombenhagel als zivilisatorische Notwendigkeit verkaufen und sich selbst dann auch noch als „ideologiekritisch“ mißverstehen[6].

Anderen „Antiamerikanismus“ vorzuwerfen, wenn diese z.B. eine Kritik des US-Imperialismus formulieren, kann daher auch einer pro-kapitalistischen Haltung entspringen, die jede Kritik im Keim ersticken will oder jene tatsächlich so borniert sind nur diese beiden Möglichkeiten zu kennen: Entweder den westlichen Kapitalismus hoch zu loben oder einem finsteren völkischen Nationalismus verfallen zu sein. Man sollte an dieser Stelle vorsichtig sein und eben nicht von einer „Antiamerikanismuskeule“ reden, da es -wie gezeigt- ernst zu nehmenden Antiamerikanismus gibt. Aber es ist unverkennbar, dass ein grundsätzlich positiver Bezug auf die USA nur einer extremen Blindheit und Ignoranz entspringen kann. Ignoranz, die sich die USA als Freiheits-Dorado schön redet und von Krise des Kapitalismus, repressiver Krisenverwaltung und Polizeistaat nichts wissen will. Man denke an die systematische Aushöhlung der Grundrechte seit dem 11.9.2001[7], man denke an den Gefängnis-Industriellen Komplex der über 2 Millionen Amerikaner hinter Gitter bringt[8], die Militarisierung der Polizei [9], die mehr und mehr als Besatzungstruppen wahrgenommen werden, man denke an die Kriminalisierung von Jugendsexualität und die hexenartige Verfolgung von eingebildeter „Pädophilie“ (Wenn z.B. ein 18 -jähriger mit einer 16-jährigen einvernehmlich Sex hat, kommt dafür Jahre in den Knast und wird, wenn er dann endlich entlassen wird als „sex-offender“ stigmatisiert und sich permanent bei der Polizei melden muss, keine Arbeit erhält, weil die „sex-offender“-Listen öffentlich zugänglich sind usw.)[10]. Die Liste der zu kritisierenden Verhältnisse lässt sich fortsetzen….

All das ist dann aber Antiamerikanismus, wenn es nur in den USA verortet und behauptet würde, dass solcherart in unserm wunderschönen rechtsstaatlichen Deutschland nie passieren kann. Schließlich hat hierzulande niemand die Absicht einen Polizeistaat zu errichten-.

Sebastian


  1. Es wird oft auch auf den „künstlichen“ Charakter der israelischen Nation verwiesen, im Gegensatz zur „authentischen“ oder „natürlichen“ Nation der Palästinenser. Das ist nicht anderes als die Anwendung des Antisemitismus auf die Sphäre des Staates: Jede Nation ist künstlich und ein Produkt der Moderne. Zu behaupten Israel wäre künstlich im Gegensatz zu Deutschland oder sonst wen ist nicht anderes als Antisemitismus. Dann wären wir beim (linken) Antisemitismus, was in diesem Artikel nicht Thema ist.
  2. Siehe Barbara Fried: Antiamerikanismus als Kulturalisierung der Differenz- Versuch einer empirischen Ideologiekritik in http://www.rosalux.de/publication/38811/maulwurfsarbeit-ii.html.
  3. Zur Bündnispolitik des Irans in Lateinamerika, siehe: Ely Karmon: Bruder Chavez –Iranische Bündnisse in Lateinamerika, in Stephan Grigat & Simone Dinah Hartmann (Hg): Iran im Weltsystem –Bündnisse des Regimes und Perspektiven der Freiheitsbewegung, Studienverlag 2010.
  4. Für mehr zum Thema Antisemitismus als wahnhafte Projektion siehe z.B.: Robert Kurz: Geld und Antisemitismus - Der strukturelle Wahn in der warenproduzierenden Moderne, http://www.http://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=schwerpunkte&index=13&posnr=60&backtext1=text1.php
  5. Natürlich können Einzelaspekte solcher Kritik richtig sein, aber um eine Kritik verkürzter Kapitalismuskritik geht es solchen Leuten eben nicht, sondern um ein Schönreden des Kapitalismus oder eben der USA, siehe z.B. Henryk Broder vom Springerblatt Welt
  6. Zur Kritik der Antideutschen bzw. genauer: der beiden antideutschen Richtungen oder Polit-Sekten, wie man es auch immer sehen mag, „Bahamas“ und „ISF“ (Initiative sozialistisches Forum) siehe Robert Kurz: Die antideutsche Ideologie – Vom Antifaschismus zum Krisenimperialismus: Kritik des neusten linksdeutschen Sektenwesens in seinen theoretischen Propheten, 2003 Unrast Verlag
  7. Z.B. in Naomi Wolf: Wie zerstört man eine Demokratie –Das 10-Punkte Programm 2010 Goldmann und Ilia Trojanow & Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit – Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte, dtv 2010.
  8. Loic Wacquant: Bestrafung der Armen: Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit, 2009 Opladen
  9. Thomas Pany: USA – Die Militarisierung der Polizei, http://www.heise.de/tp/artikel/42/42525/1.html
  10. Gelegentlich wird darüber sogar berichtet, wie z.B. hier ein konkreter Fall: http://www.queer.de/detail.php?article_id=19273. Systematisch aufgearbeitet mit zahlreichen Belegen wurde es in dem Buch von: Max Roth: Uncle Sam’s Sexualhölle erobert die Welt, 2013 Ahriman.