2015-03:rez40

Aus grünes blatt
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Ein neues Wir
(2010, Love productions, DVD 120min)
Der Film ist schön gemacht: Schöne Aufnahmen, Rundblicke durch alternative Wohnorte mit fast immer lächelnden, fast immer jungen Menschen in wohlgeformten Körpern – und das fast immer in der Sonne. So werden verschiedene Öko- und Alternativsiedlungen in Europa vorgestellt, einige größere, manche nur mit zwei Bewohner_innen – „zufällig“ Mann, Frau und liiert - huch, das ist ein alternatives Wohnprojekt? Anfangs gibt es jeweils einige kurze Infoeinblendungen, dann folgen Interviews über Gründungsgeschichte und Ziele. Was auffällt, ist eine Lücke: Politisches Engagement findet offenbar in den Projekten nicht statt oder war den Filmemacher_innen egal. Jedenfalls erfahren die Zuschauer_innen davon nichts. „Ich fürchte mich nicht vor Flutwellen, nicht vor Erdbeben, nicht vor Atomkraft, ich fürcht mich eigentlich vor nichts - weil: alles was ich mich fürchten könnte liegt in mir“, trägt eine Frau denn auch das eher prägende Credo vor. Spiritualität und die Ausrichtung auf das innere Gemeinschaftsleben sind wichtiger als die Veränderung der Welt.

Michael Würfel
Öko Dorf Welt
(2014, Würfel Verlag im Ökodorf Sieben Linden, 520 S., 18 €)
Ein sehr ehrliches Buch über das Leben im Ökodorf Sieben Linden. Geschrieben ist es als Rundgang, so wie es bei einer Führung über das Gelände, beginnend mit der Busfahrt in den nahegelegenen Ort Poppau, aussehen könnte. Wer nur wissen will, wie das Dorf aussieht und tickt, kann einfach loslesen. Wer sich vorher ein paar Fragen überlegt, wird nicht nur Antworten finden, sondern auch merken, was nicht vorkommt. Gemeinsame oder solidarische Ökonomien sind eher selten. Etliche Sätze klingen nach „Jeder ist seines Glückes Schmied“ – ein Satz, der dann, wenn er ökonomisch gemeint ist, eher dem Denken der FDP entspricht. Geld aber müssen offenbar alle einbringen – und viele tun das über Jobs, die ganz klassisch bürgerlich-urbanem Leben entsprechen. Politisches Engagement kommt nicht mehr vor. Nur im Anfang, wo das Grundsatzpapier abgedruckt ist, findet sich als Rudiment ein Absatz dazu, dass politisches Engagement erwünscht ist. Beim Rundgang ist davon nichts (mehr?) zu spüren. Insofern liefert das Buch nicht nur ein nett zu lesendes und bis ins Detail zwischenmenschlicher Ebenen gehendes Bild des Dorfes, sondern offenbart auch, was verloren gegangen ist.

Étienne Balibar/Immanuel Wallerstein
Rasse, Klasse, Nation
(1998, Argument in Hamburg, 280 S.)
Das Buch hat schon einige Jahre auf dem Buckel, aber das Thema ist hochaktuell. Die Autoren versuchen, die verschiedenen Identitäten in ihrer historischen Entwicklung und vor allem in ihren gegenseitigen Beeinflussungen darzustellen. Rassen und Nationen sind konstruiert, sprich: ihre Merkmale wurden mit interessengeleitetem Blick festgelegt. Auch die Verschränkungen mit kapitalistischen Systemwirkungen und Klassenidentitäten werden beschrieben. Es ist ein anspruchsvolles Buch, welches allen hilft, die Diskriminierungen nicht nur bekämpfen, sondern auch in ihrer Entstehung begreifen wollen.

Eric Hobsbawm
Wie man die Welt verändert
(2014, dtv in München, 448 S., 14,90 €)
Der Autor erzählt, wie der Marxismus durch die Jahrhunderte seit seiner Entstehung das politische Geschehen geprägt hat. Die Sichtweise ist dabei sehr einseitig: Marxismus ist das Gute und daher sein Einfluss positiv. Selbst die offensichtlichen Machtspiele und Hegemonialkämpfe unter der Flagge des Kommunismus werden zu Randerscheinungen im Ringen um das eigentlich Gute. So ist eine besonders deutlich betriebsblinde Geschichtsschreibung entstanden – auch wenn Geschichtsschreibung immer Herrschaftsausübung ist. Hobsbawm vollführt das in entwaffnender Klarheit, überraschend ist nur zweierlei: Dass so etwas inzwischen bei dtv geht (da siegt dann eben doch der Kapitalismus, denn dort gilt nur, dass es sich verkaufen lässt) und dass die Geschichtsschreibung irgendwann um 1970 herum aufhört.

David Graeber
Frei von Herrschaft
(3. Auflage 2013, Peter Hammer Verlag in Wuppertal, 254 S., 24,90 €)
Fragmente über die Fragen von Herrschaft, Herrschaftsfreiheit, Anarchie und die Konstitution des Menschen. Es ist ein frühes Buch des ehemaligen Ethnologieprofessors Graeber, der von bürgerlichen Medien zum Sprachrohr der Occupy-Proteste stilisiert wurde und seitdem Buch für Buch produzieren und verkaufen kann. In diesem schon 2005 verfassten Werk fügt er, mitunter recht zusammenhanglos, Textbausteine über den Menschen, sein Leben, seine Möglichkeiten und Verhaltensweisen aneinander. Sein Hauptaugenmerk lenkt er dabei auf die Frage, ob bzw. wieweit Menschen herrschaftsfrei zusammenleben können, wo sie es schon tun, welche Fragen sich stellen und welche Hürden bestehen. Es ist kein wirkliches Theoriewerk, aber bietet einige Anregungen zum Denken und Weiterentwickeln von Ideen.