2016-01:Tar Sands

Aus grünes blatt
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Teil 10

"Tar Sands":
Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts

fb Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren. In den letzten Teilen ging es um sogenannte "Renaturierungs"-Beispiele der Tar Sands-Industrie.



Brandkatastrophe

Aus aktuellem Anlass geht es in dieser Folge des Tar Sands-Berichts um den verheerenden Waldbrand, der Anfang Mai 2016 die Region der inoffiziellen Tar Sands-Hauptstadt Fort McMurray heimsuchte. Am 1. Mai startete südwestlich der kanadischen 78.000-Einwohner*innen-Stadt[1] Fort McMurray, die formal den Status einer "Urban Service Area" hat[2]. Am 3. Mai erfasste es das Stadtgebiet, wo mehr als 2.400 Gebäude zerstört wurden. Es wird spekuliert, dass dieser Waldbrand zur teuersten Katastrophe in der Geschichte Kanadas werden könnte, falls die Hochrechnungen der Versicherungsgesellschaften zutreffen, die von Schäden in Höhe von etwa 9 Milliarden Kanadischer Dollar ausgehen[3]. Schon jetzt handelt es sich um die größte Waldbrand-Evakuierung, die die Provinz Alberta jemals erlebt hat.[4]

In "Vice News" beschreibt Matt Smith die Brandkatastrophe als "apokalyptische Szene": "Zehntausende fliehen vor einem heraneilenden Flächenbrand - und haben Probleme das nötig Benzin zu bekommen - im Herzen von Kanadas Oil Patch."[5] Kanadische Rettungskräfte setzten Tanklaster auf dem Highway 63 für gestrandete Flüchtende ein - tausende PKW hatten hier versucht den Flammen zu entkommen[6].

Zum Zeitpunkt der Produktion dieser Ausgabe des grünen blatts ist das Feuer noch immer nicht vollständig gestoppt. Bislang sind 241.000 Hektar Fläche verbrannt[6], zwei indirekte Todesopfer wurden bisher erfasst. Etwa 88.000 Menschen mussten evakuiert werden - großteils über den einzigen die Stadt mit anderen Teilen Albertas verbindenden Highway 63, der teilweise ebenfalls vom Brand erfasst war[7], nachdem das Flächenfeuer ihn am Nachmittag des 4. Mais südlich Fort McMurrays überquert[8] hatte. Einige hundert Menschen mussten auf dem Luftweg in Sicherheit gebracht werden[6]. Die Regierung Albertas sagte für die Evakuierten finanzielle Unterstützung in Höhe von 1.250 Kanadischer Dollar pro Erwachsenen und 500 Kanadischer Dollar für Kinder in Form von Debitcards zu; insgesamt wurden zunächst 200 Millionen Kanadische Dollar aus dem Desasterbewältigungs-Programm DRP für die Gemeinden und ihre Einwohner*innen bereitgestellt, welche vorsorglich bereits im 2016er Haushalt der Provinz für Notsituationen eingeplant worden waren[6]. Tankstellen der hier die Tar Sands ausbeutenden Konzerne explodierten[7], als das Feuer Besitz von der Stadt ergriff.[4] Neben der offenkunndigen Gefahren durch die Feuer stellen die Rauchwolken, die sich von Fort McMurray in südöstlicher und östlicher Richtung über hunderte Kilometer ausgebreitet haben und Auswirkungen bis in südliche Gebiete der USA zeigen, eine akute Gesundheitsgefahr für die betroffenen Menschen dar[6].

Zuerst wurde der Waldbrand mit der Seriennummer "MWF-009" (9. Waldbrand der Saison im Gebiet Fort McMurrays) von einer Mannschaft des Ministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft am Sonntagmorgen des 1. Mai lokalisiert. Zunächst wurde nichts bemerkenswertes daran befunden, obwohl bereits 500 Hektar außer KontrolleReferenzfehler: Das öffnende <ref>-Tag ist beschädigt oder hat einen ungültigen Namen im Südwesten der Stadt brannten und alle Voraussetzungen für einen katastrophalen Flächenbrand inmitten dichten Borealen Waldes erfüllt waren: heißes trockenes Wetter, starke Winde und geringe Luftfeuchtigkeit. Im Gegensatz zum nächsten registrierten Waldbrand der Region, MWF-010, der schnell gelöscht werden konnte, stellte sich Nummer 9, nach dem Fluss an seinem Ausgangsort auch als "Horse River Fire" bezeichnet[4], als schwer zu bekämpfen heraus. Mehr als 1.700 Feuerwehrleute, 145 Helikopter, bis zu 28 Feuerlöschflugzeuge und eine riesige Flotte diverser anderen schweren Gerätes zur Brandbekämpfung waren im Einsatz[6] - darunter zur Unterstützung gesandte Kräfte aus den kanadischen Provinzen Manitoba, Quebec, Saskatchewan und Ontario. In der Zeitung "The Globe and Mail" wird der Manager der Forstwirtschaft Fort McMurrays zitiert, es sei ein "sehr komplexes Feuer mit vielfachen Fronten und explosiven Begleitumständen". Die Brandursache scheint bis heute nicht aufgeklärt.[7]

Eine Karte der Brandherde und des Ausbreitungsgebietes des Feuers zeigt, dass nahezu das ganze Stadtgebiet von den immer wiederkehrenden Bränden überrollt wurde. Lediglich ein kleiner Stadtkern und ein südlicher Zipfel scheinen verschont geblieben zu sein. Wie "The Globe and Mail" berichtet, wurden alle Kräfte aufgewandt um Schlüsselinfrastruktur-Flächen zu retten - so z.B. den Flughafen der Stadt und einen Teil der Innenstadt. Bis zum Morgen des 5. Mai hatten sich inzwischen auch fern des Hauptbrandgebietes unzählige kleinere Brandherde sowie ein weiterer Flächenbrand südöstlich und östlich von Fort McMurray gebildet. Bereits in der südlich von Fort McMurray gelegenen Siedlung Anzac evakuierte Menschen mussten ein weiteres mal vor den sich nähernden Flammen gerettet werden. Einen Tag später, am Freitag, den 6. Mai hatten sich die Brandflächen nochmals vervielfacht und umfassten nun mehrere riesige Flächenbrände. Die Ausbreitungsrichtung war im wesentlichen der Südosten von Fort McMurray, aber auch ein großes Gebiet weiter ab im Osten der Stadt.[7] Insgesamt waren in den ersten zwei Maiwochen bis zu 49 Flächenbrände gleichzeitig aktiv[6].

Aufgrund der Entwicklung einer eigenen Wetterlage einschließlich Blitzschlägen und Feuerwolken, die besonders hohe rußhaltige Wolken umfassen, die zu massiven Stürmen und Gewittern führen und weitere Flächenbrände auslösen können[9], wurde der Brand seit dem 4. Mai als "Feuersturm" bezeichnet. Durch die starke Hitzeentwicklung steigt heiße Luft über dem Brandherd hoch empor und zieht durch den entstehenden Kamineffekt Frischluft nach sich, die wiederum das Feuer weiter anfacht[10].[4]

Derzeit haben sich die Brände bis auf etwa 25 Kilometer an die Provinzgrenze westlich von Saskatchewan vorgearbeitet[6]. Greenpeace und andere Quellen gehen davon aus, dass es Wochen oder gar Monate dauern wird, bis das Feuer gelöscht ist[4]; vermutlich werden es erst die naturbedingten Regenfälle sein, die es letztlich endgültig ersticken. Bis zur zweiten Mai-Woche hatte Alberta bereits 329[6] Waldbrände in diesem Jahr erlebt[11]. Bedenklich sei vor allem, dass die heißesten Monate erst noch bevorstehen. Der Tag, an dem das Horse River Fire begann, stellte einen Temperaturrekord für den Monat Mai in Fort McMurray dar: 32,6 °C - das sind etwa 20 °C mehr als durchschnittlich zu dieser Jahreszeit zu erwarten und immerhin 4,8 °C mehr als der bisher gemessene Höchstwert im Jahr 1945.[3] Der Frühling ist damit etwa einen Monat früher gekommen als gewöhnlich, ebenso begann die Waldbrandsaison statt wie gewöhnlich zu Anfang April bereits am 1. März dieses Jahres[11].

Waldbrandexperte Mike Flannigan von der Universität von Alberta zufolge führten die warmen Wetterbedingungen dazu, dass Brandherde, sobald sie sich einmal festgesetzt hatten, im Untergrund weiterschwellen konnten, sodass irgendwann aufkommende Winde sie immer wieder aufleben ließen. Einige Feuer seien bis zu zwei Meter tief in den Untergrund eingebrannt, so dass Feuerwehrleute die Brandherde regelrecht ausgraben oder den Untergrund mit Wasser fluten mussten. Es sei zu befürchten, dass die Region dieses Jahr eine sehr intensive Waldbrandsaison erleben wird.[11]

Rettung der Ölbetriebe

"Das Feuer in Fort McMurray ist eine Tragödie, die kein Mensch und keine Gemeinde zu ertragen haben sollte." (NGO-Statement)[12]

Inhaltliche Kritik zu diesem Zeitpunkt wird von verschiedenen Seiten als pietätlos betrachtet. Die Direktoren von Greenpeace Kanada und neun andere Umwelt-NGOs gaben mit diesem Hintergrund am 6. Mai eine gemeinsame Erklärung zum Großbrand in Fort McMurray heraus, in der insbesondere zu Spenden an das Rote Kreuz zur Unterstützung der Evakuierten aufgerufen und außerdem festgestellt wird: "Dies ist nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Es ist der Zeitpunkt zusammen zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sicher sind und gut versorgt werden."[12] Trotzdem sollte ein kritischer Blick auf die Vorgänge und Hintergründe erlaubt sein...

Greenpeace-Kanada-Campaigner Mike Hudema weist darauf hin, dass dieser und die große Zahl in diesem Jahr in Alberta bereits registrierten Waldbrände höchstwahrscheinlich Auswirkungen des Treibhauseffekts sind und dass die Region um Fort McMurray durch die Eingriffe der letzten Jahrzehnte bereits prädestiniert waren. Der Einfluss des Klimawandels auf die Vermehrung und Verstärkung der Flächenbrände wird auch von Prof. Judith Kulig von der Universität von Lethbridge bestätigt[11]. Auch Wissenschaftlern der Universität von Alberta in Edmonton zufolge ist mit weiteren Katastrophen dieser Art und einer steigenden Häufigkeit zu rechnen. "Waldbrände waren immer Teil des natürlichen Kreislaufs", so Hudema. "Was wir nicht länger bestreiten können, ist dass wir uns weiter außerhalb der natürlichen Abläufe bewegen." Das Forstministerium der Nachbarprovinz British Columbia sagt im Entwurf seines Klimawandel-Waldbrand-Aktionsplan voraus, dass die Größe der Flächenbrände von durchschnittlich 7.961 auf 19.076 Hektar wachsen wird und dass die Schwere der Feuer um 40 % im Frühling und 95 % im Sommer steigern wird. Auch soll sich die Länge der Waldbrandsaison um 30 % ausdehnen.[3]

Zuallererst wurde der Highway 63 wieder für die Tar Sands-Industrie freigegeben, "um Arbeitern und Zulieferern der Ölsand-Betriebe die Rückkehr und Wiederaufnahme der Produktion zu ermöglichen", während der öffentliche Zugang weiterhin verwehrt blieb. Die südlich von Fort McMurray auf den Highway 63 treffende zweite Verbindungsstraße aus der Region in den Zentralteil der Provinz, Highway 881, wurde aufgrund der Waldbrände auf den nördlichsten etwa 100 Kilometern[13] ebenfalls gesperrt. Unzähligen Fahrzeugen war auf der zum Teil hunderte Kilometer weiten Flucht aus Ölindustrie-Stadt Fort McMurray in südliche und nördliche Richtung das Benzin ausgegangen, sodass sie am Straßenrand stehen gelassen wurden. Die kanadische Polizei tankte sie für die Besitzer kostenlos auf, nachdem sie im Zuge der Aufräumarbeiten abgeschleppt worden waren. So sieht Service für eine katastrophengeschädigte Industrieregion aus, die bis letztes Jahr noch als floriendste Stadt Kanadas galt - die steigenden Profite aus der Tar Sands-Industrie hatten als einzige ernste Herausforderungen das ungezügelte Wachstum, die Wohnungsnot und daraus resultierende soziale Probleme erscheinen lassenReferenzfehler: Das öffnende <ref>-Tag ist beschädigt oder hat einen ungültigen Namen.ref name="Alberta_Statement1" />

Sofern die derzeit noch unvollständigen Daten korrekt sind, wurden neben den Tausenden Wohnhäusern auch der historisch wertvolle "Heritage Park" eine Museums-Siedlung aus vielzähligen Blockhäusern aus der Siedlerzeit sowie das Oil Sands Discovery Center, das Propaganda-Museum der Tar Sands-Industrie, von dem diverse in diesem Artikel verwendete Bilder stammen, vom Horse River Fire erfasst[7]. Die Internetseite der Tar Sands-Lobbyeinrichtung gibt bisher keine Informationen preis, ob und in welchem Umfang es vom Brand betroffen wurde[14].

Die in einem früheren Teil dieser Artikelserie beschriebene Tar Sands-Industrieanlage von Syncrude im Norden Fort McMurrays wurde am 7. Mai vorläufig stillgelegt und etwa 1.500 Beschäftigte von dort evakuiert.[6]

Einfluss des Klimawandels

Nordwest-Kanada hat sich im Vergleich zum Rest des Landes in den letzten Jahren stärker erwärmt, berichtet Matt Smith in seiner Reportage zum Klimaeinfluss auf die Brandkatastrophe in Alberta. Dadurch sind Pflanzen und abgestorbenes Gehölz trockener geworden, während umliegende Feuchtgebiete ebenfalls austrocknen und zu Zunder für entstehende Waldbrände werden. Gleichzeitig sorge das wärmere Wetter zu mehr Blitzen, die derartige Feuer entzünden können. Waldbrand-Experte Flannigan weist darauf hin, dass einer aktuellen Studie zufolge eine Temperaturerhöhung von nur 1 °C zu 12 % mehr Blitzeinschlägen führt. Obwohl nur etwa 3 % der beobachteten Waldbrände zu Zerstörungen über 200 Hektar führten, seien diese wenigen Feuer doch für 97 % der vernichteten Flächen verantwortlich. Und es wird schlimmer: "Im Augenblick erleben wir zwei oder drei wirklich schlimme Waldbrandjahre pro Jahrzehnt, aber bis zur Mitte dieses Jahrhunderts erwarte ich fünf schlimme Jahre pro Jahrzehnt", erklärt Flannigan den Vice News.[5]


Fortsetzung folgt! Weiter geht es mit diesem Hintergrundbericht in der nächsten Ausgabe - oder, wer nicht so lange warten will, kann auf der Internetseite des grünen blatts bereits weiter lesen.

Dieser Artikel basiert auf Vorort-Recherchen in Alberta, Interviews mit Vertreter*innen von kanadischen Umwelt-NGOs, First Nations, aus Ölindustrie und Politik sowie auf Internet-Recherchen.


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  1. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Alberta_municipal_censuses,_2015&oldid=713564568 - gesichtet 13. Mai 2016
  2. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fort_McMurray&oldid=719972275 - gesichtet 13. Mai 2016
  3. 3,0 3,1 3,2 http://www.greenpeace.org/canada/en/blog/Blogentry/forest-fires-a-face-of-climate-change/blog/56407/ - gesichtet 13. Mai 2016
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=2016_Fort_McMurray_wildfire&oldid=720014662 - gesichtet 13. Mai 2016
  5. 5,0 5,1 https://news.vice.com/article/heres-why-the-alberta-wildfire-just-might-have-a-lot-to-do-with-climate-change - gesichtet 13. Mai 2016
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 6,6 6,7 6,8 6,9 http://www.alberta.ca/release.cfm?xID=41701E7ECBE35-AD48-5793-1642C499FF0DE4CF - gesichtet 13. Mai 2016
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 http://www.theglobeandmail.com/news/a-week-in-hell-how-fort-mcmurrayburned/article29932799/ - gesichtet 13. Mai 2016
  8. http://www.nytimes.com/2016/05/04/world/americas/wildfire-empties-fort-mcmurray-in-albertas-oil-sands-region.html?_r=0 - gesichtet 13. Mai 2016
  9. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Pyrocumulus&oldid=134260897 - gesichtet 13. Mai 2016
  10. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Feuersturm&oldid=151546929 - gesichtet 13. Mai
  11. 11,0 11,1 11,2 11,3 http://globalnews.ca/news/2675281/western-canada-wildfires-this-year-could-be-worse-than-last-say-experts/- gesichtet 13. Mai 2016
  12. 12,0 12,1 http://www.greenpeace.org/canada/en/blog/Blogentry/executive-directors-at-environmental-groups-u/blog/56393/ - gesichtet 13. Mai 2016
  13. http://www.openstreetmap.org/directions?engine=mapzen_car&route=55.8991%2C-110.7411%3B56.7234%2C-111.3743#map=9/56.2998/-111.0649 - gesichtet 13. Mai 2016
  14. http://history.alberta.ca/oilsands/ - gesichtet 13. Mai 2016