2022-01:Laufzeitverlängerung - sinnlos, gefährlich und teuer: Unterschied zwischen den Versionen

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Am 27.09.2022 erklärte Wirtschaftsminister Habeck (Grüne), dass er einen Weiterbetrieb der beiden AKW Ohu 2 (Isar 2) und Neckarwestheim 2 über den 31.12.2022 hinaus "Stand heute" für nötig halte.<ref name="eins">tagesschau.de: Habeck hält AKW-Weiterbetrieb für nötig, 27.09.2022</ref> Gleichzeitig veröffentlichte er seine Vereinbarungen mit den beiden AKW-Betreibern für den Weiterbetrieb.<ref name="zwei">Eckpunkte BMWK - E.ON - EnBW, 27.09.2022</ref> Ob dies das letzte Wort sein wird, ist fraglich. Kurz vor Ende der Atomenergienutzung in Deutschland wittern die Verfechter der Atomkraft Morgenluft angesichts möglicher Energieengpässe durch den Ukrainekrieg und die verhängten Sanktionen gegen Russland.
 
Am 27.09.2022 erklärte Wirtschaftsminister Habeck (Grüne), dass er einen Weiterbetrieb der beiden AKW Ohu 2 (Isar 2) und Neckarwestheim 2 über den 31.12.2022 hinaus "Stand heute" für nötig halte.<ref name="eins">tagesschau.de: Habeck hält AKW-Weiterbetrieb für nötig, 27.09.2022</ref> Gleichzeitig veröffentlichte er seine Vereinbarungen mit den beiden AKW-Betreibern für den Weiterbetrieb.<ref name="zwei">Eckpunkte BMWK - E.ON - EnBW, 27.09.2022</ref> Ob dies das letzte Wort sein wird, ist fraglich. Kurz vor Ende der Atomenergienutzung in Deutschland wittern die Verfechter der Atomkraft Morgenluft angesichts möglicher Energieengpässe durch den Ukrainekrieg und die verhängten Sanktionen gegen Russland.
  
Jahrelang wurde versucht, Atomkraft wieder hoffähig zu machen, indem der Atomstrom als billig und klimafreundlich deklariert wurde - von denselben Akteur*innen, die einen Energiepreisdeckel oder ein Tempolimit ablehnen. Das Umweltbundesamt hat aktuell festgestellt, dass durch ein Tempolimit (Autobahnen Tempo 100 und außerorts Tempo 80) jährlich 2,1 Milliarden Liter fossile Kraftstoffe in Deutschland eingespart werden könnten. Das entspräche 3,8 Prozent des Kraftstoffverbrauchs im Verkehrssektor.<ref name="drei">tagesschau.de: Wieviel Sprit ein Tempolimit spart, 10.04.2022</ref> Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass ein Tempolimit fünf bis sieben Prozent der russischen Ölimporte reduzieren könnte.<ref name="drei" /> Nachdem in der aktuellen Debatte auch der Verweis auf die Probleme bei der Gasversorgung nicht so richtig gezogen hat, da Atomkraft die Wärmeversorgung durch das Gas kaum ersetzen kann, ist das aktuelle Argument die Solidarität mit Frankreich bzw. die Netzstabilität, die durch die desolate Atompolitik Frankreichs in Frage stehen würde. Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist für die Energiesicherheit unnötig, hochriskant und senkt die Abhängigkeit von Russland in keiner Weise.
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Jahrelang wurde versucht, Atomkraft wieder hoffähig zu machen, indem der Atomstrom als billig und klimafreundlich deklariert wurde - von denselben Akteur*innen, die einen Energiepreisdeckel oder ein Tempolimit ablehnen. Das Umweltbundesamt hat aktuell festgestellt, dass durch ein Tempolimit (Autobahnen Tempo 100 und außerorts Tempo 80) jährlich 2,1 Milliarden Liter fossile Kraftstoffe in Deutschland eingespart werden könnten. Das entspräche 3,8 Prozent des Kraftstoffverbrauchs im Verkehrssektor.<ref name="drei">tagesschau.de: Wieviel Sprit ein Tempolimit spart, 10.04.2022</ref> Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass ein Tempolimit fünf bis sieben Prozent der russischen Ölimporte reduzieren könnte.<ref name="drei" /> Nachdem in der aktuellen Debatte auch der Verweis auf die Probleme bei der Gasversorgung nicht so richtig gezogen hat, da Atomkraft die Wärmeversorgung durch das Gas kaum ersetzen kann, ist das neue Argument die Solidarität mit Frankreich bzw. die Netzstabilität, die durch die desolate Atompolitik Frankreichs in Frage stehen würde. Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist für die Energiesicherheit unnötig, hochriskant und senkt die Abhängigkeit von Russland in keiner Weise.
  
 
=== Atomenergie als Antwort auf das Atomenergie-Desaster Frankreichs? ===
 
=== Atomenergie als Antwort auf das Atomenergie-Desaster Frankreichs? ===
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=== Die Rolle der Grünen ===
 
=== Die Rolle der Grünen ===
Befeuert wurde die Debatte um die Laufzeitverlängerung durch Grüne-Politiker*innen. So erklärte beispielsweise die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckart (Grüne) bereits am 24.7.2022 in einer Talkshow, dass Atomkraft notwendig werden könnte, um die Stromversorgung von Krankenhäusern aufrecht zu erhalten.<ref name="vier">welt.de: Goering-Eckardt offen für AKW-Streckbetrieb - Scholz will zweiten Stresstest abwarten, Stand 25.07.2022</ref> Selbst bei etwaiger Knappheit wird hier in Anbetracht der Kapazitäten Deutschlands ein unrealistisches (Horror-)Szenario aufgemalt, das Ängste schürt, anstatt eine zielorientierte Energiewende-Debatte voranzubringen.
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Befeuert wurde die Debatte um die Laufzeitverlängerung durch Grüne-Politiker*innen. So erklärte beispielsweise die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne) bereits am 24.7.2022 in einer Talkshow, dass Atomkraft notwendig werden könnte, um die Stromversorgung von Krankenhäusern aufrecht zu erhalten.<ref name="vier">welt.de: Goering-Eckardt offen für AKW-Streckbetrieb - Scholz will zweiten Stresstest abwarten, Stand 25.07.2022</ref> Selbst bei etwaiger Knappheit wird hier in Anbetracht der Kapazitäten Deutschlands ein unrealistisches (Horror-)Szenario aufgemalt, das Ängste schürt, anstatt eine zielorientierte Energiewende-Debatte voranzubringen.
  
 
Ebenfalls im Juli 2022 haben SPD und Grüne der Stadt München im Aufsichtsrat der Stadtwerke München beschlossen, sich für einen Weiterbetrieb des AKW Ohu 2 (Isar 2) einzusetzen. Die Stadtwerke München halten 25% an dem Atomkraftwerk. Die restlichen 75% sind im Besitz der PreussenElektra GmbH, einer 100%igen Tochter des E.ON-Konzerns. Die 2. Bürgermeisterin in München, Katrin Habenschaden (Grüne), verteidigte ihre Entscheidung gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: „Die Versorgungssicherheit der Münchnerinnen und Münchner hat da für mich wirklich Vorrang".<ref name="fuenf">br.de: SPD und Grüne in München für längere Laufzeit des AKW Isar-2, 21.07.2022</ref>
 
Ebenfalls im Juli 2022 haben SPD und Grüne der Stadt München im Aufsichtsrat der Stadtwerke München beschlossen, sich für einen Weiterbetrieb des AKW Ohu 2 (Isar 2) einzusetzen. Die Stadtwerke München halten 25% an dem Atomkraftwerk. Die restlichen 75% sind im Besitz der PreussenElektra GmbH, einer 100%igen Tochter des E.ON-Konzerns. Die 2. Bürgermeisterin in München, Katrin Habenschaden (Grüne), verteidigte ihre Entscheidung gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: „Die Versorgungssicherheit der Münchnerinnen und Münchner hat da für mich wirklich Vorrang".<ref name="fuenf">br.de: SPD und Grüne in München für längere Laufzeit des AKW Isar-2, 21.07.2022</ref>
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50Hertz betreibt das Stromnetz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und war vorübergehend im Besitz des Atomkonzerns Vattenfall. Derzeitige Anteilseigner von 50Hertz sind die börsennotierte belgische Holding Elia Group (80 Prozent) und die KfW Bankengruppe mit 20 Prozent.<ref name="sechs">50hertz.com: Historie, abgerufen am 15.09.2022</ref> Amprion ist eine Ausgründung von RWE, die heute noch 25,1 Prozent hält. Die andere Anteilseignerin ist mit 74,9 Prozent die M31 Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Energie KG (ein Konsortium von überwiegend deutschen institutionellen Finanzinvestoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken. Dazu zählen etwa die MEAG MUNICH ERGO, Swiss Life und Talanx sowie Pensionskassen).<ref name="sieben">Amprion.net: Anteilseigner, abgerufen am 15.09.2022</ref> Tennet ist eine Ausgründung von E.ON. Heutiger Eigentümer der Tennet Holding ist der Niederländische Staat.<ref name="acht">Tennet.eu: Unsere Geschichte, abgerufen am 15.09.2022</ref> Die Transnet BW ist eine Ausgründung von EnBW und immer zu 100 Prozent im Besitz des Energieversorgers EnBW, der auch das AKW Neckarwestheim 2 betreibt.<ref name="neun">EnBW: Jahresabschluss der EnBW AG 2021</ref>
 
50Hertz betreibt das Stromnetz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und war vorübergehend im Besitz des Atomkonzerns Vattenfall. Derzeitige Anteilseigner von 50Hertz sind die börsennotierte belgische Holding Elia Group (80 Prozent) und die KfW Bankengruppe mit 20 Prozent.<ref name="sechs">50hertz.com: Historie, abgerufen am 15.09.2022</ref> Amprion ist eine Ausgründung von RWE, die heute noch 25,1 Prozent hält. Die andere Anteilseignerin ist mit 74,9 Prozent die M31 Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Energie KG (ein Konsortium von überwiegend deutschen institutionellen Finanzinvestoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken. Dazu zählen etwa die MEAG MUNICH ERGO, Swiss Life und Talanx sowie Pensionskassen).<ref name="sieben">Amprion.net: Anteilseigner, abgerufen am 15.09.2022</ref> Tennet ist eine Ausgründung von E.ON. Heutiger Eigentümer der Tennet Holding ist der Niederländische Staat.<ref name="acht">Tennet.eu: Unsere Geschichte, abgerufen am 15.09.2022</ref> Die Transnet BW ist eine Ausgründung von EnBW und immer zu 100 Prozent im Besitz des Energieversorgers EnBW, der auch das AKW Neckarwestheim 2 betreibt.<ref name="neun">EnBW: Jahresabschluss der EnBW AG 2021</ref>
  
Im Stresstest<ref name="zehn">50 Hertz, Amprion, Tennet, TransnetBW: Abschlussbericht Sonderanalysen Winter 2022/2023, 13.09.2022</ref> wurden nach Vorgaben des Wirtschaftsministeriums verschiedene Szenarien geprüft. Parameter waren die Verfügbarkeit französischer Atomkraftwerke, mögliche Einschränkungen bei der Versorgung deutscher Kraftwerke mit Kohle auf dem Wasserweg wegen dauerhaftem Niedrigwasser, Nicht-Verfügbarkeit von Gaskraftwerken, extreme Kälte und ein deutlich erhöhter Verbrauch durch elektrische Heizlüfter. Ergebnis: Je nach Szenario kann es im Winter stundenweise zu Netzengpässen kommen. Dagegen soll ein Bündel an Maßnahmen helfen. Laut Minister Habeck gehört dazu auch, die beiden AKW Ohu 2/Isar 2 und Neckarwestheim 2 am 31.12.2022 nicht endgültig abzuschalten, sondern in die Reserve zu überführen bzw. weiterzubetreiben. Und das, obwohl die Atomkraftwerke nur einen extrem kleinen Beitrag leisten könnten und selbst in einem sehr kritischen Strombedarfsszenario im Winter den Bedarf an Redispatchkraftwerken im Ausland nur um 0,5 GW senken können und nicht um die Nennleistung der AKW.<ref name="zehn" />
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Im Stresstest<ref name="zehn">50 Hertz, Amprion, Tennet, TransnetBW: Abschlussbericht Sonderanalysen Winter 2022/2023, 13.09.2022</ref> wurden nach Vorgaben des Wirtschaftsministeriums verschiedene Szenarien geprüft. Parameter waren die Verfügbarkeit französischer Atomkraftwerke, mögliche Einschränkungen bei der Versorgung deutscher Kraftwerke mit Kohle auf dem Wasserweg wegen dauerhaften Niedrigwassers, Nicht-Verfügbarkeit von Gaskraftwerken, extreme Kälte und ein deutlich erhöhter Verbrauch durch elektrische Heizlüfter. Ergebnis: Je nach Szenario kann es im Winter stundenweise zu Netzengpässen kommen. Dagegen soll ein Bündel an Maßnahmen helfen. Laut Minister Habeck gehört dazu auch, die beiden AKW Ohu 2/Isar 2 und Neckarwestheim 2 am 31.12.2022 nicht endgültig abzuschalten, sondern in die Reserve zu überführen bzw. weiterzubetreiben. Und das, obwohl die Atomkraftwerke nur einen extrem kleinen Beitrag leisten könnten und selbst in einem sehr kritischen Strombedarfsszenario im Winter den Bedarf an Redispatchkraftwerken im Ausland nur um 0,5 GW senken können und nicht um die Nennleistung der AKW.<ref name="zehn" />
  
 
=== Streckbetrieb ===
 
=== Streckbetrieb ===
 
Das Zauberwort in dieser Debatte um eine Laufzeitverlängerung heißt „Streckbetrieb“. Bei einem Streckbetrieb, der bereits in anderen AKW im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Laufzeit durchgeführt wurde, nimmt durch eine bewusste Reduktion der Kühlmitteltemperatur die Dichte des Kühlmittels im Reaktor zu. Die Neutronen werden besser abgebremst, wodurch mehr Neutronen für die Spaltung zur Verfügung stehen. Diesen Effekt macht man sich zu Nutze und betreibt den Reaktor über sein natürliches Zyklusende hinaus. Dadurch wird die Neutronen-Moderation verbessert und man kann ein bisschen mehr Energie aus dem Brennstoff rausholen als beim Betrieb mit 100 % Leistung. Die Stromproduktion wird durch Streckbetrieb nicht nur in die Länge gezogen, sondern insgesamt leicht erhöht. Das bringt nicht viel an zusätzlicher Energie. „Ein solcher Betrieb ist für mindestens 80 Tage realisierbar. Da ein Reaktorblock im Streckbetrieb täglich ca. 0,5 % seiner Leistung einbüßt, wäre er nach 80 Tagen noch bei ca. 60 % seiner ausgelegten Leistung.“<ref name="elf">grs.de: Streckbetrieb, abgerufen am 26.07.2022</ref>
 
Das Zauberwort in dieser Debatte um eine Laufzeitverlängerung heißt „Streckbetrieb“. Bei einem Streckbetrieb, der bereits in anderen AKW im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Laufzeit durchgeführt wurde, nimmt durch eine bewusste Reduktion der Kühlmitteltemperatur die Dichte des Kühlmittels im Reaktor zu. Die Neutronen werden besser abgebremst, wodurch mehr Neutronen für die Spaltung zur Verfügung stehen. Diesen Effekt macht man sich zu Nutze und betreibt den Reaktor über sein natürliches Zyklusende hinaus. Dadurch wird die Neutronen-Moderation verbessert und man kann ein bisschen mehr Energie aus dem Brennstoff rausholen als beim Betrieb mit 100 % Leistung. Die Stromproduktion wird durch Streckbetrieb nicht nur in die Länge gezogen, sondern insgesamt leicht erhöht. Das bringt nicht viel an zusätzlicher Energie. „Ein solcher Betrieb ist für mindestens 80 Tage realisierbar. Da ein Reaktorblock im Streckbetrieb täglich ca. 0,5 % seiner Leistung einbüßt, wäre er nach 80 Tagen noch bei ca. 60 % seiner ausgelegten Leistung.“<ref name="elf">grs.de: Streckbetrieb, abgerufen am 26.07.2022</ref>
  
Laut dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies sind die Brennelemente im AKW Lingen 2/Emsland zum Ende des Jahres aufgebraucht.<ref name="zwoelf">Niedersachsen Energieminister Lies warnt: AKW-Laufzeitverlängerung „völlig falsche Weg“, rnd.de, 30.08.2022</ref> Anders sieht die Situation beim bayerischen AKW Ohu 2 (Isar 2) und dem baden-württembergischen AKW Neckarwestheim 2 aus.
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Laut dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies sind die Brennelemente im AKW Lingen 2/Emsland zum Ende des Jahres aufgebraucht.<ref name="zwoelf">Niedersachsen Energieminister Lies warnt: AKW-Laufzeitverlängerung „völlig falsche Weg“, rnd.de, 30.08.2022</ref> Anders sieht die Situation beim bayerischen AKW Ohu 2 (Isar 2) und baden-württembergischen AKW Neckarwestheim 2 aus.
  
 
=== AKW Ohu 2 (Isar 2) ===
 
=== AKW Ohu 2 (Isar 2) ===
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Zwei Wochen später wurde bekannt, dass es eine Leckage an einem Sicherheitsventil in Ohu 2 gibt. Nachdem PreussenElektra noch im August betont hatte, dass es kein Problem wäre, Ohu 2 bis Ende 2022 unter Volllast zu fahren und anschließend in den Streckbetrieb zu überführen, erklärt der Betreiber nun, dass das Ventil für den Streckbetrieb ausgetauscht werden muss und zwar noch im Oktober: "Bis 31. Dezember bereite das keine Probleme, die Anlage könne sicher weiterlaufen. Ganz anders sehe das bei einem möglichen Betrieb bis Mitte April aus - dann sei eine Reparatur fällig, und das rasch, noch im Oktober. Grund: Schon im November hätten die Brennelemente des Reaktorkerns "eine zu geringe Reaktivität, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren"."<ref name="fuenfzehn">Süddeutsche.de: Ein Ventil macht Ärger, 20.02.2022</ref>
 
Zwei Wochen später wurde bekannt, dass es eine Leckage an einem Sicherheitsventil in Ohu 2 gibt. Nachdem PreussenElektra noch im August betont hatte, dass es kein Problem wäre, Ohu 2 bis Ende 2022 unter Volllast zu fahren und anschließend in den Streckbetrieb zu überführen, erklärt der Betreiber nun, dass das Ventil für den Streckbetrieb ausgetauscht werden muss und zwar noch im Oktober: "Bis 31. Dezember bereite das keine Probleme, die Anlage könne sicher weiterlaufen. Ganz anders sehe das bei einem möglichen Betrieb bis Mitte April aus - dann sei eine Reparatur fällig, und das rasch, noch im Oktober. Grund: Schon im November hätten die Brennelemente des Reaktorkerns "eine zu geringe Reaktivität, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren"."<ref name="fuenfzehn">Süddeutsche.de: Ein Ventil macht Ärger, 20.02.2022</ref>
  
In der Vereinbarung zwischen dem Wirtschaftsminister und den Betreibern werden die Reserven nach unten korrigiert. Das leckende Ventil soll im Oktober in einem einwöchigen Stillstand ausgetauscht werden. Der Reaktor wird dann wieder weiterbetrieben. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Ohu 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Falls ja, werde dieser vermutlich bis Anfang März aufrecht erhalten werden können, mit anfangs 95% und am Ende 50% Leistung und ca. 2 TWh Stromproduktion.<ref name="zwei" />
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In der Vereinbarung zwischen dem Wirtschaftsminister und den Betreibern werden die Reserven nach unten korrigiert. Das leckende Ventil soll im Oktober in einem einwöchigen Stillstand ausgetauscht werden. Der Reaktor wird dann wieder weiterbetrieben. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Ohu 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Falls ja, werde dieser vermutlich bis Anfang März aufrechterhalten werden können, mit anfangs 95% und am Ende 50% Leistung und ca. 2 TWh Stromproduktion.<ref name="zwei" />
  
 
=== AKW Neckarwestheim 2 ===
 
=== AKW Neckarwestheim 2 ===
Das AWK Neckarwestheim 2 soll zum 31.12.2022 abgeschaltet und anschließend innerhalb von 2-3 Wochen der Reaktorkern rekonfiguriert werden. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Neckarwestheim 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Im Januar wird diese Entscheidung nochmals überprüft. Das AKW Neckarwestheim könnte dann bis zum 15.04.2023 weiterlaufen, mit anfangs 70% und am Ende 55% Leistung und ca. 1,7 TWh Stromproduktion.<ref name="zwei" />
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Das AWK Neckarwestheim 2 soll zum 31.12.2022 abgeschaltet und der Reaktorkern anschließend innerhalb von 2-3 Wochen rekonfiguriert werden. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Neckarwestheim 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Im Januar wird diese Entscheidung nochmals überprüft. Das AKW Neckarwestheim könnte dann bis zum 15.04.2023 weiterlaufen, mit anfangs 70% und am Ende 55% Leistung und ca. 1,7 TWh Stromproduktion.<ref name="zwei" />
  
 
Neckarwestheim 2 steht seit Jahren in der Kritik wegen der enormen Versprödung sicherheitsrelevanter Bauteile. Bisher wurden mehr als 300 Risse in den Rohren der Dampferzeuger entdeckt. Sie können zum Abriss der Rohre führen und einen schweren Kühlmittelverluststörfall auslösen, der bis zur Kernschmelze führen kann.<ref name="sechzehn">Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Mertins: Bewertung zu Schäden durch Spannungsrisskorrosion an Dampferzeuger-Heizrohren im KKW Neckarwestheim 2 (GKN-II), Juni 2020</ref>
 
Neckarwestheim 2 steht seit Jahren in der Kritik wegen der enormen Versprödung sicherheitsrelevanter Bauteile. Bisher wurden mehr als 300 Risse in den Rohren der Dampferzeuger entdeckt. Sie können zum Abriss der Rohre führen und einen schweren Kühlmittelverluststörfall auslösen, der bis zur Kernschmelze führen kann.<ref name="sechzehn">Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Mertins: Bewertung zu Schäden durch Spannungsrisskorrosion an Dampferzeuger-Heizrohren im KKW Neckarwestheim 2 (GKN-II), Juni 2020</ref>

Aktuelle Version vom 21. Oktober 2022, 07:01 Uhr

Laufzeitverlängerung - sinnlos, gefährlich und teuer

Am 27.09.2022 erklärte Wirtschaftsminister Habeck (Grüne), dass er einen Weiterbetrieb der beiden AKW Ohu 2 (Isar 2) und Neckarwestheim 2 über den 31.12.2022 hinaus "Stand heute" für nötig halte.[1] Gleichzeitig veröffentlichte er seine Vereinbarungen mit den beiden AKW-Betreibern für den Weiterbetrieb.[2] Ob dies das letzte Wort sein wird, ist fraglich. Kurz vor Ende der Atomenergienutzung in Deutschland wittern die Verfechter der Atomkraft Morgenluft angesichts möglicher Energieengpässe durch den Ukrainekrieg und die verhängten Sanktionen gegen Russland.

Jahrelang wurde versucht, Atomkraft wieder hoffähig zu machen, indem der Atomstrom als billig und klimafreundlich deklariert wurde - von denselben Akteur*innen, die einen Energiepreisdeckel oder ein Tempolimit ablehnen. Das Umweltbundesamt hat aktuell festgestellt, dass durch ein Tempolimit (Autobahnen Tempo 100 und außerorts Tempo 80) jährlich 2,1 Milliarden Liter fossile Kraftstoffe in Deutschland eingespart werden könnten. Das entspräche 3,8 Prozent des Kraftstoffverbrauchs im Verkehrssektor.[3] Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass ein Tempolimit fünf bis sieben Prozent der russischen Ölimporte reduzieren könnte.[3] Nachdem in der aktuellen Debatte auch der Verweis auf die Probleme bei der Gasversorgung nicht so richtig gezogen hat, da Atomkraft die Wärmeversorgung durch das Gas kaum ersetzen kann, ist das neue Argument die Solidarität mit Frankreich bzw. die Netzstabilität, die durch die desolate Atompolitik Frankreichs in Frage stehen würde. Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist für die Energiesicherheit unnötig, hochriskant und senkt die Abhängigkeit von Russland in keiner Weise.

Atomenergie als Antwort auf das Atomenergie-Desaster Frankreichs?

Die Stromproduktion in Frankreich liegt aufgrund einer völlig verfehlten, einseitig auf Atomkraft setzenden Energiepolitik ziemlich darnieder. Seit Beginn 2022 wird bis auf wenige Ausnahmen täglich Strom aus Deutschland nach Frankreich in einer Größenordnung von bis zu über 100 Gigawattstunden (GWh) exportiert. Ein konventionelles oder nukleares Großkraftwerk erzeugt ca. 20 bis knapp 30 GWh pro Tag. Die deutschen Atomkraftwerke (und mindestens ein weiteres Kraftwerk) laufen also rechnerisch nur für den Export und stützen so die verfehlte Atomenergiepolitik Frankreichs, die trotz der offensichtlichen Probleme mit den Reaktoren weiterhin auf Atomkraft statt auf Erneuerbare Energie setzt.

Die Rolle der Grünen

Befeuert wurde die Debatte um die Laufzeitverlängerung durch Grüne-Politiker*innen. So erklärte beispielsweise die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne) bereits am 24.7.2022 in einer Talkshow, dass Atomkraft notwendig werden könnte, um die Stromversorgung von Krankenhäusern aufrecht zu erhalten.[4] Selbst bei etwaiger Knappheit wird hier in Anbetracht der Kapazitäten Deutschlands ein unrealistisches (Horror-)Szenario aufgemalt, das Ängste schürt, anstatt eine zielorientierte Energiewende-Debatte voranzubringen.

Ebenfalls im Juli 2022 haben SPD und Grüne der Stadt München im Aufsichtsrat der Stadtwerke München beschlossen, sich für einen Weiterbetrieb des AKW Ohu 2 (Isar 2) einzusetzen. Die Stadtwerke München halten 25% an dem Atomkraftwerk. Die restlichen 75% sind im Besitz der PreussenElektra GmbH, einer 100%igen Tochter des E.ON-Konzerns. Die 2. Bürgermeisterin in München, Katrin Habenschaden (Grüne), verteidigte ihre Entscheidung gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: „Die Versorgungssicherheit der Münchnerinnen und Münchner hat da für mich wirklich Vorrang".[5]

Die Grüne Umweltministerin Lemke, die die Atomaufsicht in Deutschland führt und für Reaktorsicherheit zuständig ist, hält sich bedeckt. Der Grüne Wirtschaftsminister führt seine Partei Stück für Stück aus der Ablehnung der Atomenergienutzung heraus, immer mit dem Verweis auf angebliche objektive Sachzwänge. So durften die Entscheidung für einen Reservebetrieb die Übertragungsnetzbetreiber begründen.

Im Wesentlichen außen vor bleibt dabei das Stromeinsparpotential, das in vielen Bereichen auf der Hand liegt. Auch eine stundenweise Reduzierung stromintensiver Produktion wäre ein Beitrag zur Netzstabilisierung. Während es im Gassektor bereits Vorkehrungen für eine eventuelle Rationierung von Gas gibt, ist dies im Stromsektor nicht der Fall.

Atomkraftwerke als Reserve?

Wirtschaftsminister Habeck hat im Juli 2022 die vier Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW mit einem sogenannten "Stresstest" beauftragt. Sie sollten erklären, ob und gegebenenfalls wie die Stromnachfrage im Winter gedeckt und die Netzstabilität erhalten werden kann.

50Hertz betreibt das Stromnetz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und war vorübergehend im Besitz des Atomkonzerns Vattenfall. Derzeitige Anteilseigner von 50Hertz sind die börsennotierte belgische Holding Elia Group (80 Prozent) und die KfW Bankengruppe mit 20 Prozent.[6] Amprion ist eine Ausgründung von RWE, die heute noch 25,1 Prozent hält. Die andere Anteilseignerin ist mit 74,9 Prozent die M31 Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Energie KG (ein Konsortium von überwiegend deutschen institutionellen Finanzinvestoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken. Dazu zählen etwa die MEAG MUNICH ERGO, Swiss Life und Talanx sowie Pensionskassen).[7] Tennet ist eine Ausgründung von E.ON. Heutiger Eigentümer der Tennet Holding ist der Niederländische Staat.[8] Die Transnet BW ist eine Ausgründung von EnBW und immer zu 100 Prozent im Besitz des Energieversorgers EnBW, der auch das AKW Neckarwestheim 2 betreibt.[9]

Im Stresstest[10] wurden nach Vorgaben des Wirtschaftsministeriums verschiedene Szenarien geprüft. Parameter waren die Verfügbarkeit französischer Atomkraftwerke, mögliche Einschränkungen bei der Versorgung deutscher Kraftwerke mit Kohle auf dem Wasserweg wegen dauerhaften Niedrigwassers, Nicht-Verfügbarkeit von Gaskraftwerken, extreme Kälte und ein deutlich erhöhter Verbrauch durch elektrische Heizlüfter. Ergebnis: Je nach Szenario kann es im Winter stundenweise zu Netzengpässen kommen. Dagegen soll ein Bündel an Maßnahmen helfen. Laut Minister Habeck gehört dazu auch, die beiden AKW Ohu 2/Isar 2 und Neckarwestheim 2 am 31.12.2022 nicht endgültig abzuschalten, sondern in die Reserve zu überführen bzw. weiterzubetreiben. Und das, obwohl die Atomkraftwerke nur einen extrem kleinen Beitrag leisten könnten und selbst in einem sehr kritischen Strombedarfsszenario im Winter den Bedarf an Redispatchkraftwerken im Ausland nur um 0,5 GW senken können und nicht um die Nennleistung der AKW.[10]

Streckbetrieb

Das Zauberwort in dieser Debatte um eine Laufzeitverlängerung heißt „Streckbetrieb“. Bei einem Streckbetrieb, der bereits in anderen AKW im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Laufzeit durchgeführt wurde, nimmt durch eine bewusste Reduktion der Kühlmitteltemperatur die Dichte des Kühlmittels im Reaktor zu. Die Neutronen werden besser abgebremst, wodurch mehr Neutronen für die Spaltung zur Verfügung stehen. Diesen Effekt macht man sich zu Nutze und betreibt den Reaktor über sein natürliches Zyklusende hinaus. Dadurch wird die Neutronen-Moderation verbessert und man kann ein bisschen mehr Energie aus dem Brennstoff rausholen als beim Betrieb mit 100 % Leistung. Die Stromproduktion wird durch Streckbetrieb nicht nur in die Länge gezogen, sondern insgesamt leicht erhöht. Das bringt nicht viel an zusätzlicher Energie. „Ein solcher Betrieb ist für mindestens 80 Tage realisierbar. Da ein Reaktorblock im Streckbetrieb täglich ca. 0,5 % seiner Leistung einbüßt, wäre er nach 80 Tagen noch bei ca. 60 % seiner ausgelegten Leistung.“[11]

Laut dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies sind die Brennelemente im AKW Lingen 2/Emsland zum Ende des Jahres aufgebraucht.[12] Anders sieht die Situation beim bayerischen AKW Ohu 2 (Isar 2) und baden-württembergischen AKW Neckarwestheim 2 aus.

AKW Ohu 2 (Isar 2)

Die Aussagen über die Situation im AKW Ohu 2 sind höchst widersprüchlich. Im April veröffentlichte der TÜV Süd eine Stellungnahme im Auftrag der bayerischen Landesregierung zur "Bewertung der konkreten erforderlichen technischen Maßnahmen für einen Weiterbetrieb des KKI 2 bzw. eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C des KRB II". Er kommt bei Ohu 2 (Isar 2) zu dem Schluss, dass keine Drosselung der Leistung vor dem 31.12. nötig wäre und am Ende des Betriebszyklus Reaktivitätsreserven für einen Weiterbetrieb für ca. 80 Tage bestünden. Durch ein Umsetzen der vorhandenen Brennelemente könne der Reaktor sogar bis in den August 2023 betrieben und zusätzlich bis zu 5.160 GWh Strom erzeugt werden.[13]

Am 07.09.2022, nur zwei Tage, nachdem Habeck erklärte, Ohu 2 in die Reserve überführen zu wollen, wandte sich der Chef von PreussenElektra gegen die Pläne des Ministers. Knott erklärte in einem Brandbrief an Minister Habeck, dass in einem Streckbetrieb „ein flexibles Anheben oder Drosseln der Leistung nicht mehr möglich ist“. Minister Habeck fühlte sich missverstanden und stellte klar, dass es nicht um ein beliebiges Zu- und Abschalten der beiden Atomkraftwerke gehe, sondern dass im Dezember bzw. Januar die Lage erneut beurteilt und entschieden werde, ob die AKW in Streckbetrieb gehen sollten und dann für die folgenden Wochen in Betrieb bleiben würden - unabhängig, ob dies für die Versorgung bzw. Netzstabilität tatsächlich nötig sei.[14]

Zwei Wochen später wurde bekannt, dass es eine Leckage an einem Sicherheitsventil in Ohu 2 gibt. Nachdem PreussenElektra noch im August betont hatte, dass es kein Problem wäre, Ohu 2 bis Ende 2022 unter Volllast zu fahren und anschließend in den Streckbetrieb zu überführen, erklärt der Betreiber nun, dass das Ventil für den Streckbetrieb ausgetauscht werden muss und zwar noch im Oktober: "Bis 31. Dezember bereite das keine Probleme, die Anlage könne sicher weiterlaufen. Ganz anders sehe das bei einem möglichen Betrieb bis Mitte April aus - dann sei eine Reparatur fällig, und das rasch, noch im Oktober. Grund: Schon im November hätten die Brennelemente des Reaktorkerns "eine zu geringe Reaktivität, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren"."[15]

In der Vereinbarung zwischen dem Wirtschaftsminister und den Betreibern werden die Reserven nach unten korrigiert. Das leckende Ventil soll im Oktober in einem einwöchigen Stillstand ausgetauscht werden. Der Reaktor wird dann wieder weiterbetrieben. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Ohu 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Falls ja, werde dieser vermutlich bis Anfang März aufrechterhalten werden können, mit anfangs 95% und am Ende 50% Leistung und ca. 2 TWh Stromproduktion.[2]

AKW Neckarwestheim 2

Das AWK Neckarwestheim 2 soll zum 31.12.2022 abgeschaltet und der Reaktorkern anschließend innerhalb von 2-3 Wochen rekonfiguriert werden. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Neckarwestheim 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Im Januar wird diese Entscheidung nochmals überprüft. Das AKW Neckarwestheim könnte dann bis zum 15.04.2023 weiterlaufen, mit anfangs 70% und am Ende 55% Leistung und ca. 1,7 TWh Stromproduktion.[2]

Neckarwestheim 2 steht seit Jahren in der Kritik wegen der enormen Versprödung sicherheitsrelevanter Bauteile. Bisher wurden mehr als 300 Risse in den Rohren der Dampferzeuger entdeckt. Sie können zum Abriss der Rohre führen und einen schweren Kühlmittelverluststörfall auslösen, der bis zur Kernschmelze führen kann.[16]

Periodische Sicherheitsüberprüfung der AKW seit Jahren überfällig

Es gibt gute Gründe gegen den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, allen voran das Risiko einer Atomkatastrophe in Landshut oder Neckarwestheim. Die Atomkraftwerke weisen erhebliche Alterungsprobleme auf. Die umfassende periodische Sicherheitsüberprüfung, die eigentlich vor drei Jahren hätte stattfinden müssen, wurde den Betreibern erlassen wegen der Beendigung des Betriebes spätestens Ende 2022.[17]

Bei der periodischen Sicherheitsüberprüfung wird vor allem überprüft, inwieweit sich der Zustand einer Anlage von den aktuellen Sicherheitserkenntnissen und dem Stand von Wissenschaft und Technik entfernt hat und welche Nachrüstungsmaßnahmen notwendig sind. Vor dem Hintergrund, dass die letzten PSÜ vor den Anschlägen auf das World Trade Center stattgefunden haben, wird die Lücke zwischen der Sicherheit in den laufenden Reaktoren und neueren Erkenntnisse deutlich. Auch Maßnahmen gegen einen Terrorangriff außerhalb der Reaktoren wurden nicht umgesetzt. Die Nebeltarnung, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center als angeblicher Schutz im Angriffsfall propagiert wurde, ist gar nicht erst errichtet worden.[17]

Auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE) weist auf die fehlende Sicherheitsüberprüfung, die fehlende technische Anpassung an neueste Sicherheitsentwicklungen und den fehlenden Schutz vor einem Angriff auf die Atomkraftwerke hin. Das Risiko katastrophaler Unfälle habe sich noch einmal verschärft.[18]

In der Vereinbarung zwischen Minister und Betreibern wurde festgelegt, dass sich an den aktuellen Sicherheitsanforderungen nichts ändert. Die Pflicht zur PSÜ bleibt ausgesetzt, die Betreiber bleiben in der atomrechtlichen Verantwortung und Haftung.[2]

Der Streckbetrieb birgt jedoch ein ganz eigenes Sicherheitsproblem. Denn wenn jedes ungeplante Herunterfahren des Reaktors bedeutet, dass dieser aufgrund des fortgeschrittenen Abbrandes gar nicht mehr in Betrieb gehen kann, ist zu befürchten, dass selbst bei erheblichen Problemen auf jeden Fall ein Abschalten vermieden werden wird.

Im Gegensatz dazu sieht der TÜV Süd in seiner Stellungnahme für das Bayerische Staatsministerium für Umwelt weder bei einer Laufzeitverlängerung des AKW Ohu 2 noch bei einer Wiederinbetriebnahme des AKW Gundremmingen C irgendwelche Sicherheitsprobleme.[13] Der TÜV Süd ist seit Jahrzehnten als Gutachter für die AKW-Betreiber unterwegs und hat noch nie Sicherheitsprobleme gesehen. Der gleiche TÜV Süd hatte auch trotz offensichtlicher Sicherheitsbedenken die Stabilität des 85 Meter hohen Damms der Eisenerzmine Córrego do Feijão zertifiziert. Bei dem Dammbruch im Januar 2019 starben mehr als 270 Menschen und das Gebiet wurde mit giftigem Schlamm überflutet.[19]

Wer die Kosten trägt

Noch vor wenigen Monaten hatten sich die Betreiber der Atomkraftwerke gegen eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen und eine Zustimmung höchstens in Aussicht gestellt, falls der Staat alle Kosten und Risiken übernimmt.[20]

In der Vereinbarung zwischen Minister und Betreibern wurde festgelegt, dass davon ausgegangen wird, dass im Falle des Weiterbetriebs der Anlagen die Kosten durch die Erlöse für den Strom gedeckt werden würden. Sollte dies nicht eintreffen, erhalten die Betreiber vom Staat einen "Verlustausgleich".[2]

Sollte ein Reaktor nicht weiterbetrieben werden, würden die Kosten für Stillstände, Personal- und Sachkosten, Aufwand für behördliche Verfahren, Erfüllung Meldepflichten, Kosten für Deckungskäufe im Fall von Stillständen vor dem 31.12.2022, Kosten für Verzögerung des Rückbaus beim betreffenden AKW und anderen Atomkraftwerken des Konzerns sowie für die Vorhaltung in Reserve vom Staat übernommen werden.[2]

Ursula Schönberger, Projektleiterin Atom­müllreport

Erstveröffentlicht im Atommüllreport:


  1. tagesschau.de: Habeck hält AKW-Weiterbetrieb für nötig, 27.09.2022
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Eckpunkte BMWK - E.ON - EnBW, 27.09.2022
  3. 3,0 3,1 tagesschau.de: Wieviel Sprit ein Tempolimit spart, 10.04.2022
  4. welt.de: Goering-Eckardt offen für AKW-Streckbetrieb - Scholz will zweiten Stresstest abwarten, Stand 25.07.2022
  5. br.de: SPD und Grüne in München für längere Laufzeit des AKW Isar-2, 21.07.2022
  6. 50hertz.com: Historie, abgerufen am 15.09.2022
  7. Amprion.net: Anteilseigner, abgerufen am 15.09.2022
  8. Tennet.eu: Unsere Geschichte, abgerufen am 15.09.2022
  9. EnBW: Jahresabschluss der EnBW AG 2021
  10. 10,0 10,1 50 Hertz, Amprion, Tennet, TransnetBW: Abschlussbericht Sonderanalysen Winter 2022/2023, 13.09.2022
  11. grs.de: Streckbetrieb, abgerufen am 26.07.2022
  12. Niedersachsen Energieminister Lies warnt: AKW-Laufzeitverlängerung „völlig falsche Weg“, rnd.de, 30.08.2022
  13. 13,0 13,1 TÜV Süd: Kernkraftwerk Gundremmingen (KRB II) Block C, Kernkraftwerk Isar 2 (KKI 2) Bewertung der konkreten, erforderlichen technischen Maßnahmen für einen Weiterbetrieb des KKI 2 bzw. eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C des KRB II, Auftrag vom 07.04.2022
  14. AKW-Betreiber spricht sich gegen Habeck-Plan aus, Süddeutsche Zeitung, 07.09.2022
  15. Süddeutsche.de: Ein Ventil macht Ärger, 20.02.2022
  16. Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Mertins: Bewertung zu Schäden durch Spannungsrisskorrosion an Dampferzeuger-Heizrohren im KKW Neckarwestheim 2 (GKN-II), Juni 2020
  17. 17,0 17,1 Oda Becker, Adhipati Y. Indradiningrat: Atomstrom 2018 - sicher, sauber, alles im Griff? Studie im Auftrag des BUND, April 2018
  18. base.bund.de: Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke, Stand 26.07.2022
  19. tagesschau.de: Verfahren gegen TÜV Süd wird ausgeweitet, 24.01.2022
  20. bmuv.de: Fragen und Antworten zur AKW-Laufzeitverlängerung, Stand 24.06.2022