Diskussion:2008-02:Eine technik- und industriekritische Polemik

Aus grünes blatt
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Streitpunkte zu diesem Artikel von Äspi

Ich möchte mich streiten. Mich einmischen in die Technik-und-Herrschaft-Debatte.

Ausgangspunkt sind ein paar Punkte in Deinem - Hallo Jan-Hendrik :-) - Artikel, in dieser Entgegnung auf einen Text von Jörg und Mails, von denen ich nichts weiß.

Zunächst will ich sagen, dass es mir für ein auch nach außen gerichtetes Medium schwierig erscheint, wenn auf Maildiskussionen verwiesen wird, die außer Dir und Jörg niemand kennt.

Und dann hätte ich noch Anmerkungen zu deinem Text - der Link zum Text: www.gruenes-blatt.de/index.php/2008-02:Eine_technik_und_industriekritische_Polemik_-_Reaktion_auf_Diffarmierungen_aus_dem_Hause_Bergstedt

Du schreibst dort:

"Konzentriert mensch sich allerdings auf das konkrete Streben nach Herrschaftsfreiheit im Hier und Jetzt wird schnell klar: Nicht Schwebebahnen sind es, bei denen Mensch ansetzen sollte, sondern den Grundbedürfnissen nach Nahrung, Kleidung, Unterkunft und so weiter."

Und, etwas später:

"Ganz abgesehen davon, dass die Erfüllung von sozialen und nicht-materiellen Bedürfnissen das ist, was wirklich glücklich macht sind es die Grundbedürfnisse Nahrung, Kleidung und Unterkunft die dieses Glück möglich machen."

Ich bekomme Bauchschmerzen, wenn ich davon lese, was "wirklich glücklich" macht. Wenn das Deine Deine Einschätzung ist - okay. Aber mir gefällt es nicht, wenn irgendwer allgemein definiert, was Glück ist. Weil das nur individuell zu klären ist. Das, was Du schreibst, hört sich zu normativ an. Ebenso wie die Formulierung, dass "schnell klar" sei, wo man im Hier und Jetzt ansetzen "sollte". Warum "sollte" man?

Und ich finde es auch normativ zu sagen, dass nicht-materielle Bedürfnisse "wirklich" glücklich machen - wer will das für alle Menschen sagen? (Wenn mir jemand eine vergriffene Schallplatte schenkt - ist noch nie passiert, aber egal -, die ich seit fünnf Jahren suche, freue ich mich wie die Schneekönigin ...) Und warum diese Grenzziehung zum Materiellen? Sicher meinst Du etwas anderes, aber ich muss dabei an religiöse Verzichtsideologie denken. Wenn Glück von außen für andere definiert wird, vermute ich, dass Interessen dahinter stehen, mir etwas anzudrehen, was ich gar nicht will.

Ebenso geht es mir bei den Grundbedürfnissen - wo ist die Grenze, was sind Grundbedürfnisse? Ich frage mich z.B., warum in Deiner Aufzählung Gesundheit nicht vorkommt. Für mich ist es ein zentrales Bedürfnis, dass es mir gesundheitlich gut geht. Naja. Und an dem Punkt stellen sich mir gleich weitere Fragen - ob der von Dir vorgeschlagene Technikverzicht bedeutet, dass es keine Rollstühle mehr gibt, keine Fahrstühle, kein Ultraschall ... usw. In meiner Utopie will ich darauf nicht verzichten.


Du schreibst:

"Herrschaftsfreiheit an sich ist etwas so Komplexes. Schon allein zwischen zwei Menschen. Deshalb darf "bezweifelt" werden, ob der unübersichtliche globale Produktionsprozess einer Schwebebahn zum Beispiel jemals herrschaftsfrei organisiert werden kann. Unmöglich ist es vielleicht nicht. Aber es geht um Prioritäten."

Ich finde die Formulierung gefährlich: Wer setzt diese Prioritäten, und warum? Und mir leuchtet es nicht ein, warum ich mich unter herrschaftsfreien Rahmenbedingungen so beschränken soll, dass ich zwar satt werde und ein Dach über dem Kopf, aber meine Freunde - sie wohnen leider zwanzig Kilometer entfernt - nicht erreichen kann, weil es weder Schwebebahn, U-Bahn oder Fahräder gibt. Für mich ist Mobilität definitiv ein Grundbedürfnis. Und wenn ich in der Utopie nicht per Zug, Schwebebahn, Fahrrad oder anderen ökologisch-intelligenten Fortbewegungsmitteln reisen kann - dann will ich sie nicht. Und ich tippe mal, dass ich nicht die einzige bin, die das so sieht.

Ich glaube auch, dass vernetzte Produktion einige Hürden setzt, um herrschaftsfrei organisiert zu werden. Aber Menschen haben ihre Intelligenz und können sie dafür einsetzen, über Kommunikations- und Produktionsstrukturen nachzudenken, die möglichst wenig Herrschaft - darum geht es mir, nicht um Perfektion - befördern. Ich will nicht vor den Hürden kapitulieren, weil ich - ganz persönlich - kein Leben unter anarchoprimitivistischem Vorzeichen führen will. Warum so früh aufhören, über ein besseres Leben nachzudenken? Wer das will - okay. Aber nicht als globale Utopie.


Du schreibst:

"Tendenziell kann gesagt werden, dass je komplexer eine Technologie ist, desto mehr Spezialisten, Wissenshierarchien, Entfremdung vom Produktionsprozess, eintönige Arbeit, Umweltverschmutzung wird es geben."

Ich sehe das nicht in der von Dir beschriebenen Zwangsläufigkeit.

Beispiel "eintönige Arbeit": Ob die Arbeit eintönig ist, hängt z.B. davon ob, wie lange ich etwas tun "muss" oder wie der Arbeitsprozess gestaltet ist.

Dazu hatte ich mal vor längerer Zeit etwas geschrieben, was ich immer noch so sehe:

"Und warum sollte es unmöglich sein, ein Bergwerk so zu gestalten, dass es keine Arbeitsmaschine ist sondern eine Kombination aus Arbeitsstätte mit gemütlichen Sauna-Räumen, Musikanlagen überall ... or whatever. Klingt vielleicht strange, aber was ich sagen will: Wenn es weiterhin in einer utopischen Welt Rohstoffabbau geben soll, muss der so organisiert sein, dass diese Orte gemütlich und nicht gesundheitschädigend sind. Sonst macht keine mit. Und das ist gut so, der Antrieb dafür, die Entwicklung von neuen Arbeits- und Lebensformen voranzutreiben."

Und davon abgesehen ist ja nicht gesagt, dass in der Utopie die komplexesten Technologien dominieren werden. Eher denke ich, dass die Technik bevorzugt wird, die sich als nützlich, umweltschonden usw. erweist.


Du schreibst:

"Nein, Bergstedt predigt ein "extremes Steigen" der "Produktivkräfte" und ein "grandioser Schub an Technikentwicklung für ein besseres Leben. Und das Ergebnis: Schwebebahnen. Das der Fortschritts-Glaube in Bergstedts Welt genauso fest zementiert ist, wie beim Ex-Ministerpräsident von Bayern scheint offensichtlich."

Ich finde, dass der Vergleich hinkt. Zwischen dem Transrapid und einer Schwebebahn im innerstädtischen Nahverkehr gibt es riesige Unterschiede. In Wuppertal gibt es solche Schwebebahnen, und ohne sie technisch zu kennen würde ich tippen, dass der Wartungs- und Produktionsaufwand mit konventionellen Zügen zu vergleichen ist.

Und ich finde, dass es nicht Fortschrittsglaube ist, wenn jemand davon ausgeht, dass unter Herrschaftfreiheit die Produktivität steigt. Produktivität heisst ja nicht, dass plötzlich viel mehr Produkte gebastelt werden (nicht zwangsläufig zumindest), sondern sie umfasst ja alles, was es an der Hervorbringung neuer Ideen gibt ... Kunst, sich selber reinigende Klos, länger haltbare Lastenfahrräder usw.

Nenn mich fortschrittsgläubig - aber ich finde ich super, wenn Menschen darüber nachdenken, wie ihr Leben besser gestaltet sein kann. Und dabei kann Technik eine Möglichkeit sein, ebenso wie soziale Entwicklungen, bessere Absprachen usw.

  • Äspi